Volltext: Der Naturarzt 1875 (1875)

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der bei der Fäulniß und Verwesung — langsamen, unsicht 
baren Verbrennung — der Leichen zwar langsam nach Jahren, Jahr 
hunderten, Jahrtausenden, aber endlich doch zur Geltung kommt, bei der 
Feuerverbrcnnung aber augenblicklich in Erfüllung gehen kann — und 
zwar unbedingt zu Jedermanns Vortheil! 
Im Alterthum war das Verbrennen der Leichen mit großen Umständen 
verknüpft, kostspielig und für manches humanere, namentlich das Frauengemüth 
verletzend, denn es geschah ja öffentlich auf einem Holzhaufen, wobei die 
Verbrennung des ganzen Leichnams zu Asche stets nur sehr unvollkommen ge 
schah, was manches Abschreckende für sich gehabt haben mag. Jetzt liegt die 
Sache aber ganz anders; kaum ein Jahr ist verffossen, seit Brunetti in Wien 
seinen oben erwähnten Apparat ausstellte, welcher eingestandener Maßen noch 
ein sehr unvollkommenes Verbrennungsresultat lieferte, so hat in dieser kurzen 
Zeit die Technik in der Aufgabe: die Leichen total, rasch, billig, 
geräusch-und geruchlos, ohne Ranch und ohne das Gefühl 
der Anwesenden oder Leidtragenden im Geringsten zu ver 
letzen, zu verbrennen — schon Großes, wenn auch noch nicht den Cnlmi- 
nationspunkt erreicht. 
Dem Prof. Di. med. Reclam in Leipzig gebührt das Verdienst durch 
rastlose Bemühungen mit Technikern dem eben angegebenen Z i e l e bereits sehr 
nahe gekommen zu sein; es geschieht dies nämlich durch Verbrennung in einem 
nach Art der Regenerativöfen construirtcn Leichenofen, worin ein bis 
auf Weißglühhitze erhitzter heißer Luft ström auf den Leichnam mit oder 
ohne Sarg geleitet wird, der denselben in kurzer Zeit (nach Umständen 30—60 
und mehr Minuten) verzehrt, nicht blos wie der heiße Wüstensand mumi- 
ficirt, sondern in Gestalt von G a s und Dampf der Atmosphäre übergiebt, 
während ein kleines Häufchen fast schneeweißer Asche (s. oben Schiller) 
zurückbleibt, welches nach Belieben in eine Urne gesammelt und zum Andenken 
aufbewahrt oder auch der Mutter Erde zurückgegeben werden kann. 
Eine genaue Beschreibung mit Abbildung dieses Leichenverbrennnngsofens 
mittelst erhitzter Luft nach Siemens in Dresden und empfohlen von Prof, 
vr. Ree l a m findet man in der Brochüre von Wegmann-Ercolani, bet. „Die 
Leichenverbrennung als rationellste Bestattungsart, 4. Auflage, Zürich 1874, 
Schabelitz's Verlag" —, die ich hiermit meinen Lesern, welche sich dafür 
interessiren, bestens empfohlen haben will. In diesem provisorischen Sie- 
mens'schen Ofen sind bereits mehrfach gelungene Versuche an Thieren und 
auch an Menschen gemacht worden; zuletzt wurde der Leichnam der jungen 
Frau eines Stuttgarter Arztes im Herbste v. I. darin in ca. 90Min. 
zu Asche verbrannt, wobei mit Erlaubniß des Gatten mehrere hiesige Collegen 
und sonst noch einige Männer der Wissenschaft Gelegenheit hatten, durch eine 
in der Thüre des Verbrennungsraumes befindliche Klappe den Verbrennungs 
prozeß von Anfang bis zu Ende zu beobachten, wodurch in Folge kalter Luft 
strömung derselbe allerdings etwas verzögert wurde. 
Unterm 23. November las man in Dresdner Blättern „ab höherer 
Seite" folgende Bekanntmachung: 
„Die bisherigen Verbrennungen hatten die Lösung der te chnischen Aufgabe im Auge; 
„nun solche gelöst ist, können fernere Verbrennungsgesuche nicht mehr auf Grund 
lage der Vornahme wissenschaftlicher Experimente eingereicht werden; es tritt nun das 
„Princip der Frage hervor, ob man das System der Feuerbestattung einführen will oder
	        
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