Volltext: Der Naturarzt 1875 (1875)

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wie beim ganzen Geschlecht sind und darum muß, wer es ehrlich mit der 
Menschheit meint, gegen solche zum „Volksbedürfniß" gewordene diäte 
tische Irrthümer, welche die Wissenschaft noch zur Zeit duldet, ja sogar 
gutheißt, gleichsam sanctionirt, allen Ernstes Protestiren! 
Ist es nicht in der That zum Verwundern, wenn Vogt sagt, daß es zur 
Zeit n o ch k c i n e auf vielfache Versuche gegründete wissenschaftliche 
Diätetik giebt, vielmehr jeder Arzt seinen Reconvalcscenten d i e Speise als 
die verdaulichste empfiehlt, welche er selbst gern ißt und am leichtesten verdaut! 
Man sollte meinen, dazu hätten die Herren wohl schon lange Zeit gehabt und 
auch die Einsicht, wie wünschenswcrth eine solche diätetische Versuchs 
arbeit ist, anstatt daß dieselben sich und das Volk in dieser Beziehung immer 
noch mit Ansichten regaliren. 
Was Vogt bezüglich des Wechsels der Nahrungsmittel sagt, scheint 
mir wieder nicht auf Erfahrung zu beruhen, sondern mehr auf E i n b i l d u n g, 
denn wenn man z. B. die T h i e r e betrachtet, deren I n st i n c t uns immer 
als untrüglicher unübertrefflicher Leitstern gepriesen wird, so 
finden wir bei diesen Geschöpfen eine so reiche Mannigfaltigkeit der Nahrungs 
mittel keineswegs, wie man sie für den Menschen für nothwendig 
erachtet, vielmehr sehen wir, daß z. B. die Pferde Jahr aus Jahr ein mit Hafer, 
Heu und Wasser gefüttert werden und selbige sich dabei vortrefflich befinden, 
wenn sie genügend davon bekommen, höchstens daß man ihnen noch Roggen 
brod mit etwas Salz giebt und wenn es hochkommt, als Leckerbissen ein Stück 
chen Zucker und — sie wachsen dabei-und gedeihen an Körperkraft wie an 
dem ihnen gegebenen Grade von Intelligenz. Warum soll nun beim Menschen 
die Einfachheit der Ernährung, welche die Mutter der Mäßigkeit ist, 
so verderblich und eine 100-, ja fast 1000-fältige Mannigfaltigkeit in den 
Nahrungsmitteln nothwendig sein? 
Ich kann dieß nicht begreifen, finde auch den Nutzen nicht durch die Er 
fahrung bestätigt, indem die gesündesten und glücklichsten Menschen nicht die 
jenigen sind, welche über einen reichen und leckern Tisch gebieten können! 
Merkwürdig findet Carl Vogt den Umstand, daß die Samen der ' 
Getreidearten und Hülsenfrüchte der Musternahrung —- der Milch — 
ant nächsten kommen und darum plastische Pflanzenmilch genannt zu 
werden verdienen, von welcher also der erwachsene Mensch nach wissen 
schaftlichen Begriffen gerade so gut leben kann, wie der jugendliche 
Mensch von der thierischen Milch; ich glaube, daß hier von einer Merk 
würdigkeit Nichts zu entdecken ist, sondern blos eine Naturnothwendigkeit 
vorliegt, wonach die schöpferische Weisheit, welche den Thieren ihre richtige 
Nahrung angewiesen, auch den Menschen nicht vergessen haben kann, den 
nackten Menschen, der keine Zähne und Krallen wie ein Raubthier hat, und 
daher im Anfang, ehe er Werkzeuge und Waffen erfunden, keine thierische 
Nahrung benutzen konnte, somit lediglich mittelst leicht zu erlangender 
Psanzenkost seine Existenz sichern mußte. Das ist der philosophische 
Grund für den Vegetarianismus, den kein Mensch bestreiten kann und 
wenn auch tagtäglich in allen Schlachthöfen der fleischessendcn Culturvölker 
noch so viele Ochsen gen Himmel brüllen! 
Carl Vogt gesteht ja selbst zu, daß in den Erzeugnissen der Land 
wirthschaft (Getreide- und Hülsenfrüchte) die drei Bedingungen, die er 
für eine den Organismus wirklich nährende Kost vom chemischen Stand 
punkte aus aufstellt, vollkommen erfüllt sind; sie enthalten nämlich alle in
	        
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