Volltext: Der Naturarzt 1875 (1875)

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Die Heilung bleichsüchtiger Aabchen. 
Von A. Rikli, Naturarzt in Triest und Veldes in Oberkrain. 
Die Bleichsucht ist eine Krankheitsform, welche mit dem Fortschritt 
unserer Aftercivilisation, resp. der herrschenden einseitigen Geistesbildung immer 
häufiger auftritt. In den meisten Fällen ist sie das Produkt der Verweich 
lichung und Stubenhockerei mit seinen Konsequenzen, nämlich im Mangel an 
Genuß der wahrhaft electrisirenden Lebenselemente, als da sind: direktes 
Sonnenlicht, frische Ln ft und Bewegung im Garten, Wald und Flur. 
Nach Behauptung der approbirten Aerzte soll bei dieser Krankheit den Patienten 
das Eisen im Blute fehlen, weshalb sie Eisenpräparate verordnen; allein da 
dies nur die Folge Wirkung mangelnder Anregung des Nervenlebens 
(Innervation) ist, so muß die bloße Beseitigung des sekundären Symptoms 
ebenso irrationell genannt werden, als sie auch meistens erfolglos ist. Die 
spezifische Symptomen - Behandlung, resp. die Beseitigung oder Unterdrückung 
der Folgeerscheinungen, anstatt der Hebung der Krankheitsursachen, ist so recht 
die „For?e" eigentlich die Schwäche der Medizin als Disciplin. Wenn 
auch nicht zu läugnen ist, daß in einzelnen Fällen die Eisenpräparate in Ver 
bindung mit andern rationellen Anordnungen wenigstens vorübergehende Besse 
rung bewirken, so bleiben sie in weit mehr Fällen nicht nur nutzlos, sondern 
stiften nicht selten bedeutenden Schaden durch Verdauungsstörungen, Magen 
leiden re. Schließlich bleibt doch als Hauptresultat, daß die Beseitigung des 
Folgeübels (Krankheitssymptomes) eine widersinnige Behandlung ist. 
Die Bleichsüchtigen stellen so ziemlich in alle Wasserheilanstalten ihr 
Kontingent; welches sind hier die Heilungsresultate? So weit wir den Durchschnitt 
derselben kennen, lassen sie eben auch viel zu wünschen übrig, und da Herr 
Sanitätsrath H., Besitzer und Dirigent der Wasserheilanstalt Schönbrunn am 
Zugerberg in einem früheren Jahresberichte die absolut negativen Heilungs 
resultate seiner Bleichsüchtigen offen bekannte, während wir das glänzende 
Gegentheil in allen uns bisher vorgekommenen Fällen dieser Krankheitsform 
aufweisen können, so nehmen wir hierdurch Anlaß unsere Behandlungsmethode 
zu beschreiben. 
In keiner andern Krankheit dürfte sich die Priorität des combinirten 
Wasserheilverfahrens (Verbindung von Wärme- mit Kälte-Applikationen) gegen 
über der einseitigen Kaltwasserheilmethode so evident herausstellen, wie hier. 
Vermöge der Blutarmuth resp. dem Mangel an Cruor im Blute, sehen diese 
Kranken so blaß und wächsern aus und frieren sehr leicht; sie leiden an be 
deutender Muskelschwäche, Herzklopfen und Knrzathmigkeit bei raschem Gehen, 
so wie bei geringem Steigen. 
. Das leichte Frieren erzeugt in ihnen Widerwillen gegen kalte Bäder, 
natürlich weil sie sich darauf doppelt schwer erwärmen. Es ist daher ein 
leuchtend, daß täglich mehrfaches, ausschließlich Kaltbaden, nicht nur eine über 
mäßige Wärmeentziehung für sie ist, die sie nicht entsprechend zu ersetzen ver 
mögen, sondern daß sie dabei auch eine wahre Nervenbelebung entbehren. 
Diese findet überhaupt nur in entschiedenen Temperaturwechseln statt; 
da aber Bleichsüchtige an und für sich selten ein normales Wärmegefühl, ge 
schweige ein erhöhtes besitzen, können sie auch bei solchem Zustande durch kalte 
Bäder keiner wohlthuenden Nervenelektrik theilhaftig werden. Ist es da zum 
Verwundern, wenn ohnehin geschwächte, in starker Entwickelung begriffene, bleich 
süchtige Mädchen nicht nur größtentheils ohne Besserung, ja selbst geschädigt 
aus wirklichen Kaltwasserheilanstalten zurückkehren? Es sind uns nicht nur
	        
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