Volltext: Der Naturarzt 1871 (1871)

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„Wenn unsere Untergebenen schon in der Kindheit (weil die Kinder 
häufiger als Erwachsene angesteckt werden) sämmtlich gekuhpockt — vacei- 
nirt werden, so erhalten sie für mehrere Jahre einen wirksamen Schutz 
vor den gefährlichen Menschenblattern, welcher sich dadurch bewährt, daß 
dieselben entweder gar nicht von den Pocken befallen werden, oder daß 
die Blattern bei ihnen nur in den milden ungefährlichen Formen auf 
treten und daß drittens durch die Vaccination und Revaccination die 
Sterblichkeit an Menschenblattern so gut wie unmöglich, aus einen ge 
ringen Prozentsatz erniedrigt wird. Ergo müssen die jungen Weltbürger, 
ohne Widerrede, je bälder je lieber geimpft (vaccinirt) und nach einiger 
Zeit abermals gekuhpockenseucht (revaccinirt) werden, weil man 
nicht wissen kann, zu welcher der drei Klassen der Empfänglichkeit oder 
Widerstandsfähigkeit ein Individuum gehört, weshalb die kürzere Vacci- 
nationswirkungszeit für alle ganz gleichmäßig angenommen und unge 
fähr alle 5—10 Jahre revaccinirt, d. h. die Kuhpockenimpsung wieder 
holt werden muß, namentlich aber bei allen Rekruten. Wer nicht Ordre 
parirt, wird gestraft und zwangsweise gekuhpockt, namentlich geschieht 
dies bei allen Schulkindern, da die Obrigkeit für ihrer Angehörigen Wohl 
bei deren notorisch beschränktem Unterthanenverstande auch gegen deren 
Willen Sorge tragen muß! Punctum! Basta!!" 
Der medizinische Oberpascha läßt natürlich keine Einwendung gegen 
diesen seinen unfehlbaren Ukas gelten, komme sie woher sie wolle; 
er ignorirt ganz, daß 1) trotz Impfung und Wiederimpfung 
Personen beiderlei Geschlechts so junge wie alte an Menschenblattern und 
sogar an den schweren Formen erkranken und sterben, daß also der 
gepriesene Schutz der Impfung gegen die Blattern ein 
rein illusorischer ist (im Jahre 1865 wurde der Pariser Akademie 
ein Bericht über die Erfolge der Impfung in Frankreich vorgelegt, aus 
welchem sich das für jeden Jmpfgläubigen gewiß sehr auffällige Resultat 
ergiebt, daß in den zehn am meisten geimpften Departements 
die Blatternkrankheit in jeder Beziehung (sowohl in Betreff 
der Zahl der Blatternfälle, als der Zahl der Todesfälle an Blattern, 
als der Verhältnißzahl der Blatterntodten zu den Geburten) schlimmer 
auftrat, als in den zehn am wenigsten geimpften Departe 
ments); 2) die Impfung neben diesem negativen Vortheil 
noch einen unbestreitbaren positiven Nachtheil hat, und zwar 
den, daß bei Impfung von Individuum zu Individuum, wie zahlreiche 
Fälle konstatiren, manchmal gefährlicheKrankheitsstofsemit über 
tragen werden, welche langes Siechthum, wo nicht den frühen Tod des 
Vaccinirten, herbeiführen müssen! 
Das kümmert aber den unfehlbaren medizinischen Großmogul sehr 
wenig , denn er bleibt unerschütterlich bei seinem sie voleo, sic jubeo 
(so will ich, so befehleich!) und geimpft muß werden trotz alle
	        
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