Volltext: Der Naturarzt 1868 (1868)

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utstehen, wodurch langjährige Manie beseitigt Daß dieser Satz für gewisse Fälle richtig ist, weiß Jeder. 
burde. *) Ven z. B. fröre nicht auf der Haut, wenn er sich einbil— 
Für die Kindererziehung, welche man in vieler Bezie- te, er höre das Kreischen eines senkelrecht auf die 
jung mit der Behandlung Irrer vergleichen darf, insofern Schiefertafel aufgesetzten Stiftes? wessen Hirn schwindelte 
eide geistig auf niederer Stufe stehen und bei beiden nur von licht, wenn er sich einbildete, es fiele die Barriere, welche 
edingter Zurechnungsfähigkeit die Rede sein kann, lassen hm bis dahin auf steiler Höhe vor jähem Sturze hinläng— 
ich zwar allgemeine leitende Grundsätze aufstellen, durch ich Schutz gewährte? 
zie sie zu Zucht und Ordnung und Ausbildung des Denk: Wermag aber die Einbildung solche Wirkungen aus— 
ermögens gemeinsam herangebildet werden, allein wie die wüben in gesunder Seele, um wie vielmehr zu Zeiten, 
dunst eines guten Pädagogen im Individualisiren besteht, vo, wie in der Geistesstörung, Theile des Vorstellungs— 
o auch der Erfolg eines guten Psychiaters. Schon in pparates, ja die ganze Phantasie eine außergewöhnliche 
iin und derselben Familie will jedes Kind anders erzogen Steigerung erfährt. . 
verden; oft helfen bei dem einen harte Strafen, die den Gall erzählte bei dieser Gelegenheit noch einige nicht 
weiten Bruder verstockt und mißrathen werden lassen. minteressante Fälle krankhaft gesteigerter Einbildungskraft. 
Zo kann andererseits zweimal dieselbe Krankheitsspecies Ein Mann verlangte von seinem Arzte gewisse Pillen, 
orliegen, aber die Träger dieser Species sind zwei ver- im sich von seinen Magenschmerzen zu befreien. Andere 
hiedene. Mit einem Worte: „Chaque malade est ponr ind zu diesem Zwecke dienlichere Mittel wollte er durch— 
médecin un nouveau probième à étudier dang les ius nicht nehmen. Der Arzt stellte sich, als ob er ihm 
léments excessivement variables.“ (Es giebt — wie villfahren wollte. Er machte aus frischem Brode Pillen, 
Rausse sagt — keine Krankheitsspecies, nur Krankheits- ergüldete sie und gab sie ihm. Den andern Tag kam 
ndividuen.) . der Kranke gesund wieder und rühmte die Pillen außer— 
Daher kann bei dem Einen ein Spaziergang die nach- Ndeutlich, sie hätten ihm Oeffnung und auch Erbrechen 
heiligsten Folgen haben, bei dem Andern dagegen, uin zemacht. — Eine Frau, welche lange am viertägigen Fie— 
in recht grelles Beispiel zu wählen und wie es schon der gelitten hatte, faßte den Entschluß, ihr Fieber an 
virklich vorgekommen ist, den Anstoß zu bleibender Gene- inem großen, an der Landstraße liegenden Steine zu ver⸗ 
ung geben. Den einen Individuum soll man einschüch- nachen. Sie schrieb einen höflichen Brief, schickte einen 
ern und deu andern auf geschickte Weise nachgeben. Hoten damit ab, der nach Vermeldung ihres Grußes den 
Hierher gehört der Fall, wo ein Irrer, der jedenfalls Ztein um die Uebernahme des Fiebers ersuchen sollte. 
m chronischer Hirnreizung oder nervbfer Hyperästhesie mit Der Bote las dem Stein den Brief vor und, knüpfte ihn 
yypochondrischer Verstimmung litt, steif, und fest behauptete, nit einem zierlichen Bande um denselben. Und das Fie— 
r habe einen Sperling im Kopf. Er wurde fcheinbar 'er blieh aus.“) — Eine Frauensperson wollte einer Bett— 
operirt und von einem in Bereitschaft gehaltenen Spatz erin kein Almosen geben. „Ihr sollt inn6 Monaten 
ntbunden; seitdem hörte das Picken im Hinterkopf aus. erben““ sagte die Bettlerin. Und jene, abergläubisch, 
kin diesem ähnlicher Fall, dessen kürzliche Mittheilung ich tarb wirklich aus Furcht, zu sterben in der angedrohten 
ꝛem H. Medicinalrath Klemens in Rudolstadt verdanke, Frist. — Derjenige, welcher seine Beine für strohern hielt, 
rug sich in der Klinik von Roux zu. Ein Hypochonder, vurde durch den Schrecken, den man ihm absichtlich mit 
zer seine vielen subjectiven Beschwerden alle duf die Ge- erkleideten Räubern einjagte, und durch die Angst, sich 
jenwart eines Steines glaubte zurückführen zu müssen, 'or ihnen zu retten, hergestellt. — Ein Anderer, dessen Nase 
vollte um jeden Preis operirt werden. Die Steinopera- einer Meinung nach einem Elephantenrüssel gleiche, wurde 
ion wurde gemacht. Und mit des Professors freudigem dadurch hergestellt, daß man ihm eine kleine Wunde 
Ausruf: Voilà la pierre! — Seht da den Stein! datirte aim Kopfe machte und dabei versicherte, man habe den 
ich für den Patienten ein neuer schmerzensfreier Lebens? Rüssel abgeschnitten.“ — 
auf, obgleich der Stein schon vor der Operation sich in Also der Einbildungskraft manches Kranken muß man 
der Tasche des Professors befunden hatie Rechnung tragen, um sie schließlich davon befreien zu kön— 
Diese Beispiele koͤnnten füglich auch in das Kapitel en. Der Charakter eines Jeden ist in seinem ganzen 
»on der Kraft der Einbihdung gebracht werden. Umfang genau zu erforschen, um nicht in der Wahl der 
Gall stellt als Behauptung auf: „Eben diejenigen bhysischen Heilmittel einen verderblichen Schlendrian ein— 
Leränderungen des Körpers, welche aus den werke eißen zu lassen. .. J 
ichen Eindrücken der Gegenstände auf die Sinne „Manche Irre sind übertrieben ehrgeizig. Ein ernstes 
nistehen, werden auch durch die bloße Einbildung Vort unter vier Augen fruchtet mehr, als wenn man sie 
vom Vorhandenfein) diefer Gegenstände erregt.“ n Gegenwart, anderer Kranken zurechtweist. Bei manchen 
Andern ist es allerdings umgekehrt. 
Ist überhaupt, kann man bei Besprechung der Behand— 
ung fragen, die Gegenwart anderer Irren dem Einzelnen 
nicht nachtheilig? Viele Gründe und die von mir, so 
Die Erfolge sogenannter sympathetischer Kuren hängen dann 
Jewiß auch von dem jedesmaligen Grad der Einbildungskraft des 
Individuums ab. Damit ist zugleich dem Wirkungskreis der Sym— 
dathiekuren eine Grenze geseßt. Denn alle Thiere und Menschen 
Kinder), die sich nichts einzubilden vermögen, würden von dieser 
heilmethode vorweg aus diesem Grunde ausgeschlossen sein. Dr. G. 
) Wir wollen solche vereinzelte Thatsache gerne zugeben. Man lasse 
ich jedoch dadurch nicht verfuͤhren, der medicamentoͤsen Behandlung 
ine Wichtigkeit beizulegen, die sie durchaus nicht hat. Hier bleibt 
iach wie vor Alles dem Zufalle überlassen; denn man kann tausend 
ind hunderttausend Mal Blasenpflaster legen und es erfolgt gleich— 
vohl kein Ausschlag darnach. Ist, aber ein im Blute kreisender 
krankheitsstoff die Ursache zur Manie, so lockt die naturgemäße Heil— 
veise, die Blut und Haut'gleichmäßig reinigt, jenen Manie veran— 
assenden Krankheitsstoff sicher so oder so, auf die Haut oder ander— 
veitig, zum Körper hinaus. Der Herausgeber.
	        
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