Volltext: Der Naturarzt 1868 (1868)

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zchaden gestiftet werde, sind wirklich interessant. „So— 
zann thut man gut, das Mittagsschläfchen mit etwas er— 
jobenem Oberkörper (in einem sogenannten Großvaterstuhl), 
zicht der Länge nach ausgestreckt zu halten, und was vor— 
ugsweise zu beachten, spirituöse Getränke, die beim Essen 
jenossen werden, vor dem Schläfchen erst etwas aus dem 
dopfe verfliegen zu lassen. Es taugt gar nichts, sich mit 
inem Räuschchen schlafen zu legen.“ — 
Es taugt aber überhaupt gar nichts, ein Räuschchen 
u haben, es taugt überhaupt nichts, beim Essen spirituöser 
Fetränke sich zu bedienen. 
Wer ein Räuschchen sich beim Essen geholt, ist eben 
erst recht geneigt, das Räuschchen auszuschlafen. Da hilft 
gock's Warnung rein nichts. Nicht allein vor dem 
Räuschchen, sondern auch vorm Genuß spirituöser Getränke 
»eim Essen hätte Bock warnen sollen. 
Wann soll denn Einer, der beim Essen noch spirituöse 
getränke genießt, noch Zeit zum Schläfchen finden? Bis 
zer Geist wieder verflogen ist, geht Zeit verloren und aus 
dem Mittagsschläfchen könnte besonders bei etwas lang 
dauernder Tafel schließlich ein Abendschläfchen werden. 
da sind die Thiere wahrlich vernünftiger als gewisse 
deute: sie saufen keinen Wein und können drum nach 
hrem Fressen gleich ihr Mittagsschläfchen halten. Der 
große Haller singt mit Recht in seinem berühmtesten 
Hedichte, die Alpen: 
„Zwar hier bekränzt der Herbst die Hügel nicht mit Reben, 
Han preßt kein gaͤhrend Naß gequetschten Beeren ab; 
Die Erde hat zum Durst nur Brunnen hergegeben, 
nd kein gekünstelt Sau'r beschleunigt unser Grab. 
Beglückte, klaget nicht; ihr wuchert im Verlieren, 
dein nöthiges Getränk, ein Gift verlieret ihr; 
Ddie gütige Natur verbietet ihn den Thieren, 
Dder Mensch allein trinkt Wuß und wird dadurch zum 
Thier.“ 
Doch wenden wir uns weg vom Thier und vom 
Thierischen, wenden wir uns den Menschen zu, deren 
debensweise noch einigermaßen der natürlichen nahesteht. 
Schauen wir auf die muntere Jugend. Wenn sie 
nicht an die Schulbänke gebunden ist, so tummelt sie sich 
n der freien Gottesluft und ergötzt sich am Spiele. Sie 
leibt nach dem Essen nicht sitzen, sondern macht sich so— 
leich wieder auf und davon, unbekümmert um den Ma— 
jen, den sie allerdings auch nicht so mißhandelt, wie der 
rwachsene. 
Gehen wir auf's Land, aber recht weit weg von den 
Städten und betrachten wir einen kräftigen Volksschlag. 
Seine Sitten und seine Lebensweise seien so einfach und 
ingekünstelt, wie Haller die Alpenbewohner seiner Zeit 
childert. Es sei Erntezeit und die Mühe des Tages am 
größten. Schon frühe um 3 Uhr sind die Schnitter an 
hre Arbeit gegangen und ruhen nun zur Zeit der größ⸗ 
en Hitze um Mittag aus und verzehren dabei ihr ein— 
aches Jändliches Mahl. Wohl legt sich der eine oder 
indere in den Schatten und schlummert ein, jedenfalls 
iber nicht um seinem Hirne allein Ruhe zu gönnen, son⸗ 
dern dem ganzen Menschen. Merkt der Beobachter jedoch 
genauer auf, so sieht er, daß die rüstigsten Burschen gar 
nicht schlafen, sondern fich mit Scherzen unterhalten und 
zuweilen an den eingeschlafenen Schwächlingen sich allerlei 
leine Schalkheiten erlauben. An ihren Magen denken 
die Leute nicht, wenn der Hunger gestillt ist. Sie ver—⸗ 
püren keine Blähungen und sind wieder rüstig an der 
Arbeit, während der beim üppigen Mahle des unnatürlich 
ebenden Culturmenschen genossene Spiritus noch nicht 
»erflogen ist und sein Phlegma noch auf den müden Au— 
genliedern und dem Hirne lastet. 
„Nach dem Essen sollst du stehen oder tausend Schritte 
jehen“, ist, wie Bock sagt, aus Großmutters Handkörbchen. 
das Sprichwort wurde offenbar nicht von denjenigen er—⸗ 
unden, die in freier Luft und bei anstrengender Arbeit 
m Schweiße ihres Angesichtes ihr Brod essen; es rührt 
ielmehr von Stubensitzern her, die aber jedenfalls ver— 
rünftigere Ansichten hatten, als Bock. Diese Stubensitzer 
vpußten, daß sie täglich einige Bewegung machen muß— 
en, wenn sie gesund bleiben wollten. Sie wußten, daß 
rach einem mäßigen Mahle ein kleiner Spaziergang für 
»en Magen nicht schädlich und für das Hirn wohlthätig 
ei. Sie verspürten es, daß das Hirn von seiner An⸗ 
trengung sich am besten erhole, wenn sie einige körper— 
iche Anstrengungen machten. Dadurch wurde das Hirn 
pieder viel thätiger, als nach einem Schläfchen. Dieselbe 
Erfahrung machen aber auch heute noch alle, welche gei— 
tige Arbeiten zu verrichten haben und dabei an eine mehr 
itzende Lebensweise gebunden sind. Ihre geistige und 
zörperliche Erholung mitten am hellen Tage ist nicht das 
Schläfchen, sondern eine mäßige Bewegung. 
Daß die Faulenzerei nach dem Essen gut sei, predigt 
ins somit Bock zwar als ein neuer, aber falscher Pro— 
ohet. Um seine Spartaner entsprechend einem noch rauhen 
ind kriegerischen Zeitalter als kriegstüchtige, kräftige und 
Jesunde Leute zu erziehen, studirte Lykurg auch etwas 
Diätetik. „Weil aber Lykurg bemerkte, daß die, w elche 
nach dem Essen sich anstrengen, von gesunder 
Farbe, fleischig und stark sind, die aber, welche 
sich nicht anstrengen, aufgedunsen, übelaus— 
sehend und schwach erscheinen, so vernachläßigte 
er auch diesen Punkt nicht; sondern in Erwägung, daß, 
denn Liner aus freien Stücken und nach eigenem Gut— 
dünken sich eifrig anstrenge, er sich auch einen tüchtigen 
Körper verschaffe, verordnete er, der Aelteste auf jedem 
Uebungsplatze solle dafür sorgen, daß sie nie von den 
Speisen sich zur Trägheit verleiten lassen.“s) 
C(Xenophon: von der Staatsverfassung der Lacedämo⸗ 
aier.) 
Sokrates, der Weise, vernachläßigte seinen Körper 
veder selbst, noch lobte er es an Anderen, wenn sie es 
haten. „Er verwarf Ueberfüllung des Magens mit dar— 
auffolgender übertriebener Anstrengung; dagegen empfahl 
x die Gewohnheit, soviel als man mit Appetit esse, ge— 
hörig hinauszuarbeiten. Ein solches Verhalten, sagte er, 
ei nicht nur ganz gesund, sondern auch der Ausbildung 
der Seele nicht hinderlich.“ (Kenophon: Erinnerungen 
an Sokrates. 1. Buch. Cap. 2.). 
Folgen wir dem Rathe des weisesten der Weisen! 
x*) Die Spartaner mußten öffentlich und gemeinschaftlich essen. 
— wpolte nicht, daß sie zu Hause ein Mittagsschläfchen neh— 
men konnten.
	        
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