Volltext: Der Naturarzt 1868 (1868)

oder für einen ganzen Haufen Doctoren. O, heilige 
Dummheit!“ 
„Bis zum sechszehnten Jahrhunderte ging das Siech— 
thum und Weichthum der europäischen Völker langsam im 
gemessenen Schritte seinen Weg. Aber zu jener Zeit ver— 
einigten sich drei Dinge, welche den Marsch in Sturm— 
schritt setzten. Erstens datirt sich von der Zeit (Auffindung 
des Seeweges nach Ostindien und Entdeckung Amerika's) 
her der Genuß der Arome und Gewürze aus fremden Zonen 
(und des Kaffee's, Thee's und Tabaks) — doch das ist 
noch geringes Uebel. Zweitens drangen damals die schreck— 
lichen Bastarde des Aussatzes, die Krätze und Lustseuche, 
in alle Länder, in Paläste und Hütten — das war schon 
ein viel schrecklicheres Uebel. Drittens wurde damals der 
Aberglaube, daß die Gifte der Apotheke den Menschen ge— 
sund machen, allgemein verbreitet, es bildeten sich die Gift— 
zünfte, und von jetzt an schluckte Jedermann Gift — *) 
das ist das schrecklichste Uebel, mit welchem jemals die Dä— 
monen des Elendes das Menschengeschlechht heimgesucht 
haben. Später ist zur Pest der Medizin die Branntwein— 
pest gekommen; und dieser Quadrupelallianz kann es ge— 
lingen, das Menschengeschlecht auszurotten.“ — — — **) 
Doch — es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in 
den Himmel wachsen. Das Uebel, oder vielmehr die Uebel 
sind erkannt, und mit der Erkenntniß derselben und mit 
dem Schuldbewußtsein wird auch ihren Ursachen nach— 
geforscht und allseitige Abhülfe angestrebt. Freilich gilt 
es dann noch einen heißen Kampf oder vielmehr einen 
Doppelkampf, den mit den eingewöhnten und drum schwer 
abzulegenden Gebräuchen, und den noch heißeren mit er— 
erbten Vorurtheilen und Vorrechten; doch auch dieser wird 
ausgefochten und siegreich ausgefochten werden. Mehren 
sich doch von Jahr zu Jahr die Kämpfer und Anhänger 
einer bessern, freiern und menschenwürdigern Richtung 
volksthümlicher Gesundheitspflege und Heilweise, schaaren 
sich doch aller Orten Männer zu Vereinen zusammen, das 
leibliche Wohl der Einzelnen und der Gesammtheit zu be— 
rathen und zu fördern, und werden doch schon selbst ver— 
schiedenen Orts einzelne Stimmen laut, die dem schlimmsten 
Hort eines verrotteten wissenschaftlichen Systems, dem me—⸗ 
dicinischen Zunftzwang, die fernere Berechtigung abzu— 
sprechen. 
Betrachten wir die oben berührte, dem Menschenwohl 
und Völkerglück so feindselige Quadrupelallianz etwas 
näher. Genauere Bekanntschaft mit feindlichen Mächten ist 
immer von Gutem, man weiß sie besser abzuschätzen, ihren 
Werth und Unwerth richtiger zu würdigen, vor Allem aber 
ihre schwachen Seiten zu erkennen und wie sie am leich— 
testen zu besiegen. 
Der Meansch ist, als vernunftbegabtes Thier, eine 
Doppelnatur, in der sich um seinen Leib wie seine Seele 
stets zwei Mächte streiten, die Macht der Sinnlichkeit und 
die Macht der Idee, — die Macht des Genusses und die 
*) Bis gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts existirte 
im Churfürstenthum Brandenburg, damals ein Land von etwa 608 
Dugdrameilen, noch keine einzige Apotheke. Vergl. Naturarzt 1867, 
e * Diese apostrophirten Sätze sind in allen ihren Theilen der 
vortrefflichen Schrift „Wasser thut's freilich!“ von J. H. Rausse 
(G. Aufl. Leipzig. Magazin für Literatur, S. 25 u. ff. des II. 
Theils) entnommen. 
Macht der Entsagung, — die Macht der Selbstsucht und 
die Macht der Liebe. Geht die eine oder die andere Macht 
aus solchem Kampfe.siegreich hervor, so sehen wir leibliche 
oder geistige Entartung folgen und nur da, wo sie sich in 
voller Harmonie die Waage stets gleich halten, da sehen 
vir den naturgesetzlichen, den schönen und guten, den 
gesunden und wahren, den göttlichen Menschen erstehen. 
Die Menschheit in ihrem kindlichen Zeitalter mag mehr 
oder weniger und kürzere oder längere Zeit instinktiv, d. h. 
naturgegeben, solcherweise naturgetreu und gottgewollt, pa— 
radiesisch, gottähnlich gelebt haben — gemahnt uns doch 
der Einzelmensch im Alter seiner Kindheit gleicherweise an 
die Möglichkeit solch schönen, ungetrübten, leiblichgesunden, 
eelischglücklichen und geistigreinen Zustandes; — aber das 
Kind soll Mann werden und die kindliche Menschheit sollte 
zur wahren Menschlichkeit heranreifen, auf Grund ihrer 
Natur und der ihr innewohnenden Naturgesetzlichkeit, sie 
sollte vernünftig, sie sollte sich ihrer bewußt werden, sie 
mußte darum schuldig und sündig werden, um kraft ihrer 
Vernunft, nach Wahl und mit Bewußtsein wieder schuld— 
los und gut, d. i. tugendhaft werden zu können. Sie 
mußte den instinctiven, paradiesischen Zustand aufgeben, 
mehr oder weniger und kürzere oder längere Zeit dishar— 
nonisch, zwiespältig zerfallen in ihrer Doppelnatur, sie 
nußte vorherrschend sinnlich leben, um dann endlich, von 
den Folgen eines solchen ungesetzlichen, widernatürlichen 
Lebens, von leiblichen, sittlichen und geistigen Gebrechen 
zemahnt und getrieben, sich nach dem Ideal der allseiti— 
zen Vollkommenheit wieder zurückzusehnen und dieses wie— 
der zu gewinnen suchen. Sich hintennach der verderblichen 
Folgen eines zwiespältigen, disharmonischen, vorherrschend 
innlichen Dichtens und Trachtens klar bewußt und auch 
all der vielen Wege und Abwege, die zu ihm führen 
können, wird sie dann dereinst doppelt sicher und dauernd 
die volle Harmonie ihrer Doppelnatur sich bewahren und 
bleibend in dem Zustande wahrer menschlicher Glückselig— 
keit verharren können. 
Der Mensch bedarf zu seiner gesunden leiblichen Existenz 
so außerordentlich wenig;*) die größten Weltweisen aller 
Zeiten, Völker und Religionen haben solches auch aner— 
kennt und in ihren der Nachwelt aufbewahrt gebliebenen 
Schriften und Aussprüchen niedergelegt. Umgekehrt ver— 
hindert die Abhängigkeit von zahlreichen Beduͤrfnissen in 
leiblicher Beziehung die Möglichkeit ungetrübter Gesund— 
heit, sie steigert die Empfänglichkeit für körperliche und 
die Fähigkeit zu sittlichen Gebrechen, und gleich wahr und 
zutreffend drum sagten Sokrates: „Je einfacher und 
bedürfnißarmer der Mensch, je gottähnlicher,“ und Chri— 
stus: „Je reicher und bedürfnißreicher, je entfernter vom 
Gottesreiche 
So die Aussprüche aller Weltweisen und Menschen— 
kenner, so auch die Aussprüche unserer heutigen Natur— 
forscher ersten Ranges. Wenige Grammen stickstoffhaltiger 
und etwas mehr Grammen kohlenstoffhaltiger Nahrung, 
wie sie in 2 F Brod mit ebensoviel Milch oder in 117 
Erbsen (Linsen, Bohnen) mit 2 3 Kartoffeln enthalten 
sind, genügen vollkommen, den Menschen leiblich gesund 
*) In Hahn, Naturgemaße Diät, Cöthen, P. Schettler, fin— 
det man ganze Reihen geschichtlicher Nachweise hierüber.
	        
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