Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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bitte Sie, was macht das schon für Zeit nöthig. Dazu die 
französische Sprache — ja die englische sogar beinahe schon 
allenthalben, — dann — ich bitte Sie — das Stenogra 
phiren, diese Ausgeburt der leidigen öffentlichen Rederei, und 
das Nacharbeiten für alle dergl. Sachen in den Freistunden 
nach der Schulzeit -- wo soll da, liebster, bester Herr Pa 
stor, die Zeit noch herkommen, um sich selber kuriren zu kön 
nen, wie dieser Herr Helfer es fordert!? Der Mensch könnte 
einen verrückt machen, mit dieser Anforderung — wenn der 
Blick nicht beruhigt auf Sie, Herr Medicinalrath, fallen dürfte, 
der Sie mit ihren werthen Herren Collegen Sie wissen, 
welche ich meine — bei solcher Lage und Zumuthung als ein 
Trost aus höheren Regionen erscheinen müssen! Sie sind der 
Stecken und Stab, der uns bisher durch die Trübsal der> 
Körpermangelhaftigkeit geleitet hat, o lasse man uns doch die 
sen Stab, den wir kennen und lieben, und-muthe uns nicht 
zu, uns einen neuen zu schnitzen! — Das üst das, verehrter 
Herr Pastor, was ich sagen wollte. 
Herr Bürgermeister Jnnocens (hustend). Hm, 
hm —"— Mein Herr Vorredner hat ziemlich nahe an das 
Gebiet gestreift, auf welches ich mich in dieser Sache zu stellen 
habe. Wenn Sie nämlich wissen wollen, meine Herren, und 
Sie, Herr Pastor, im besonderen, was ich an der Helfer'schen 
Annonce auszusetzen und gegen die Naturheilkunde überhaupt, 
wie sie uns der Herr Medicinalrath skizzirt hat und ich mir 
sie auch schon früher vorgestellt habe, einzuwenden habe, so ist 
es das: daß dieser Helfer und die Naturheilkunde im Gan 
zen die directe Aufforderung zur Selbsthülfe unter die 
Menschen zu schleudern wagt. „Selbsthülfe" — schauder 
haftes Wort — wo die Behörde nur in Allem helfen, 
Alles machen und anstellen soll oder die von ihr beauftragten 
Personen! Ja, das Ansehen des Gesetzes ist gefährdet, wenn 
es Mode würde, daß sich die Menschen selbst kurirten — das 
will ich Ihnen beweisen: denn wer sich selbst kuriren zu kön 
nen meint, der maßt sich an, ebenso gescheidt sein zu wollen, 
wie diejenigen, deren Amt es mit sich bringt und die dazu 
vom Staate beauftragt sind, solche Kenntnisse sich zu verschaf 
fen und auszuüben, womit die Krankheiten kurirt werden. 
Wer sich aber mit seinen Kenntnissen einem vom Staate Be 
auftragten oder Privilegirten gleichdünkt, verletzt die nöthige 
Achtung und Ehrfurcht vor der betr. Person und vor dem 
Gesetze, welches diese Person repräsentirt. Und es ist ganz 
gleich, ob sich Jemand die Gescheidtheit eines Arztes oder 
'eines Bürgermeisters anmaßt — die Anmaßung in bei 
den Fällen ist soviel, als Nichtachtung des Gesetzes; der Arzt 
verächter ist auch Bürgermeisterverächter und der Bürgermei 
sterverächter auch Arztverächter! Wir gesetzliche Perso 
nen stehen Alle für Einen und Einer für Alle; wenn Einer 
von uns angetastet wird in seinem Rechte, seinem Ansehen, 
seiner Autorität, müssen wir uns Alle darin angegriffen sehen. 
Die Helfer'sche Annonce und die ganze sogen. Naturheilkunde 
fordert also zur Insubordination überhaupt auf! — Da 
gegen aber, meine Herren, ist nicht blos das Publikum zu 
warnen, nein, dagegen ist einzuschreiten im Namen des Gesetzes, 
und ich werde das zu thun wissen. 
Herr Gotthold Augustin (hinter Herrn Medio her 
vortretend). Guten Abend, meine Herren — bitte, lassen Sie 
sich ja nicht stören — 
Einige. Guten Abend! 
G. Augustin. Da komme ich ja gerade noch zu einem 
recht. interessanten Gegenstände der Unterhaltung; — war 
nicht von der Insubordination die Rede, welcher sich Diejeni 
gen schuldig machten, welche das Verfahren irgend einer Auto 
rität zu beurtheilen, auf behusige Abänderungen darin hinzu 
arbeiten suchen? 
Bürgermeister. Allerdings — haben Sie etwa was 
dagegen? 
G. Augustin. Ei, versteht sich! bin ja Vorstand unse 
res Bürgerausschusses! Wie könnte ich denn fernerhin noch 
in dieser durch das Vertrauen meiner Mitbürger mir über 
tragenen Stellung bleiben, wenn Ihr Satz richtig wäre? Im 
Gegentheile, ich glaube die Einrichtung der Bürgerausschüsse, 
dieser Controls der stadträthlichen Autorität, ist doch eines- 
theils aus einem wahren Bedürfniß, anderntheils aus der 
Anerkenntniß hervorgegangen, daß der Bildungsgrad des Pu 
blikums dem der autorisirten Personen im Staate jetzt minde 
stens gleich steht. 
Bürgermeister, Ach, das gehört ja gar nicht hieher — 
Medinalrath. — und möchte sich am wenigsten den 
autorisirten Personen gegenüber behaupten lassen, zu deren 
Amtsausübung wissenschaftliche Fachbildung gehört. 
Pastor. Sie werden doch nicht den Ersten, Besten, und 
sei er noch so gebildet, für geeignet erachten, von der Kanzel 
herab die Glaubenskörner wahr und unverfälscht in die Her 
zen auszustreuen? 
Medicinalrath. — und schwerlich auch behaupten 
können, die Bildung des Publikums sei so weit vorgeschritten, 
daß dadurch die Autorität und Wirksamkeit der Aerzte ent 
behrlich geworden? 
G. Augustin. Behüte, meine geehrten Herren! Denn 
leider sind wir allerdings im Allgemeinen noch nicht so weit, 
daß die Thunlichkeit und Nothwendigkeit dieses Eintritts des 
Publikums an Stelle mancherlei jetziger Autoritätsverwalter all 
gemein er- und anerkannt würde. Vorhanden aber, das 
glaube ich behaupten zu müssen, vorhanden sind die Kennt 
nisse und Fähigkeiten dazu schon zum besten Theile im Publi 
kum, — es geht eben jedoch noch der große, geistige, im Stillen 
waltende Proceß vor sich, welcher allemal vorangegangen sein 
muß, ehe die Menschheit eine nächste Stufe der Fortentwicke 
lung sichtbar und anerkannt einnehmen kann. Und die Gebiete 
der Theologie und Medicin werden voraussichtlich gerade die 
sein, deren bisherige Theorieen eher oder später aus dem still 
begonnenen Neugeburtswerke mit völlig veränderter Gestalt 
hervorgehen. 
C. Augustin. Das sind die beliebten Sätze und Phan- 
tasieen meines Herrn Bruders — ich dächte aber, meine Her 
ren. Sie ließen sich nicht stören und führen bei unserer wirk 
lich viel praktischeren Unterhaltung fort: über das sich aus- 
zusprecheu, was eben zu thun ist, damit den Menschen die 
Augen über die Irrlichter und falschen Leuchten eröffnet werden. 
Die Meisten. Ja wohl — recht so ~~ bravo! 
Pastor. So würde wohl nun Herr Schöppe die Güte 
haben — wenn der Bürgermeister zu Ende? 
Bürgermeister. Allerdings — ich war am Schluffe 
und ich glaube, meine Worte wiegen schwer genug, um sich 
durch das Gegengewicht, welches auf die Wage gelegt wurde, 
nicht so leicht aufwiegen zu lassen. 
Pastor. — Nun dann also — lieber Herr Schöppe — 
Schöppe. Was ich gegen unseren Neuerer, diesen Dr. 
Helfer — Naturarzt, wie er sich nennt — und seine angeb 
liche Naturheilmethode zu sagen habe, soll kurz ausfallen. 
Ich muß aber behaupten, daß er nichts von der Chirurgie 
versteht, sonst würde er nicht Alles mit seinen „Natur 
heilmitteln" abmachen wollen. Wer hass denn weiter
	        
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