Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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Aus meine Frage: was denn mit ihr geschehe? und wa 
rum sie nicht mehr zu mir herunterdürfe, wenn sie doch nicht 
verreist sei, und als ich sie obendrein noch an das von der 
Mutter Rosa's in ihrer, der Wärterin, Gegenwart gegebene 
Versprechen erinnerte, ward sie sichtbar verlegen, schwieg; und 
als ich hartnäckig weiter in sie drang, mir doch den Schlüssel 
zu diesem Räthsel zu geben, da rückte sie mit dem Geständ 
nisse heraus: „Rosa müsse jetzt zu den Dominikanern." Auf 
meine Frage: Was dort thun? hieß es: „Beten und 
Gott danken für die Genesung! denn diese hätten sie durch 
ihre Fürbitten gesund gemacht, nicht die Kur allein habe das 
bewirkt, und ohne jene wäre auch die diesmalige Behandlung 
so erfolglos gewesen, wie die frühere!" 
Sprachlos d stand ich einen Moment auf dem Trottoir 
der neuen Maximiliansstraße, wo diese Begegnung stattfand, 
dann entschlüpfte meinen Lippen der Ausruf: 0 sauotu sim- 
plieitas! — welcher den beichtväterlich-schwachen Eltern galt 
und ein kräftiges Millionen-Schock-Donnerwetter schickte ich 
hinterdrein auf das im Finstern schleichende und agitirende 
Psaffenvolk, das sich hier aus die niederträchtigste Weise von 
der Welt die gelungene schöne Frucht fast dreimonatlicher 
Kopf- und Körperarbeit anmaßte! 
Der Wärterin, welche mich aufforderte, doch auch einmal 
Rosa zu besuchen , und mit ihrer Mutter zu reden, vielleicht 
dürfe sie dann wieder herunter in die Anstalt, gab ich zur 
Antwort: „Das lassen wir hübsch bleiben, denn mit 
der Dummheit kämpfen selbst Götter vergebens!" 
Einen Gruß an meine frühere Patientin, auf deren Kur 
ich unsägliche Mühe und Sorgfalt verschwendet hatte, gab ich 
ihr schon mit und fügte hinzu: das sei genug, denn alle 
Schritte, so dumme, vom Aberglauben und Vorurtheile be 
fangene Eltern zur Raison zu bringen, seien, meiner Ansicht 
nach, doch vergebens; auch halte ich es ganz unter meiner 
Würde, mich nachträglich noch in eine Katzbalgerei mit den 
Dominicanerkutten einzulassen! Das fehlte mir noch oben 
drein! — Und das geschah in der königlich bayerischen Haupt- 
und Residenzstadt München im Jahre 1859! 
Schlußwort mit Bocksicher Reflexion. 
Wer kennt ihn nicht, den Verfasser des „Buches vom 
gesunden nnd kranken Menschen", den demokritischen 
Hippokrates der 2ten Hälfte des 19. Jahrhunderts, den un 
ermüdlichen Persifleur der homöopathischen Heilkunst, den me- 
dicinischen Professor der Hochschule in Leipzig, welcher in die 
weite Welt hinausruft: „Keine Apotheken mehr!" 
Dieser gelehrte Mann, Prof. Dr. Bock, sagt in seinem 
Buche vom gesunden und kranken Menschen Seite 510 als 
Schlußwort: 
„Krankheiten zu verhüten, ist weit leichter, als Krankhei 
ten. zu heilen; das Heilen der Krankheiten aber geschieht 
„besser auf diätetischem Wege (durch sogenannte physio 
logische Heilmittel, wie: Nahrung, Wasser. Luft, Licht 
„oder Dunkelheit, Wärme oder Kälte, Bewegung oder 
„Ruhe), als durch Arzneistoffe. Allerdings giebt es 
„einige wenige Medicamente, welche beschwerliche Krankheits- 
Erscheinungen zu mindern und zu heben vermögen, aber da- 
„sür sind auch sehr viele schädliche Heilmittel in den Händen 
„der Aerzte. Die Erfahrung, welche Vers, während 25 Jah- 
„ren am Krankenbette und Leichentische, in der Kinderstube 
„und auf dem Schlachtfelde zu machen Gelegenheit hatte, 
„führte denselben zu der Erkenntniß, daß nur sehr wenige 
„Krankheiten mit Sicherheit zu erkennen sind, daß uns das 
„Wesen der allermeisten Krankheiten zur Zeit noch ganz unbe- 
„kannt ist, daß deren Ursachen, Ausbreitung, Dauer, Verlaus 
„und Ausgang nur in einigen wenigen Fällen sicher angege 
ben werden kann, und daß von den Krankheiten, welche 
„der Arzt durch die verschiedensten Heilmethoden (wie die al 
lopathische, homöopathische, isopathische, hydropathische, dyna- 
„mische, Schrothsiche, Rademachersiche, sympathische, mystische 
„und gymnastische) zu heilen im Stande zu sein meint, 
„fast alle auch ohne Arzt und Heilmittel, blos bei einem 
„vernünftigen diätetischen Verfahren heilen. Die Wahrheit 
„dieser Behauptung vertritt gegen Jeden — Bock!" 
Professor Bock muß das phrenologische Organ der Vor 
sicht gut entwickelt besitzen, dafür spricht das Wörtchen fast, 
welches er als Hinterthüre für alle Fälle nicht vergessen, wo 
er mit obiger Behauptung Fiasco machen könnte. Ich für 
meine Person möchte nun doch wissen, wann der Zeitpunkt 
wohl eingetreten wäre, wo vorstehende drei (in Nr. 1, 4, 9 u. 
10 d. Bl. beleuchtete) Fälle spontan, d. h. von selbst, geheilt 
wären, und wie das vernünftige diätetische Verfahren Bock's 
dabei beschaffen gewesen wäre und von wem die betreffenden 
Leute dasselbe hätten erfahren können, von wem anders, als 
von einem Sachverständigen? 
Ohne mir ein besonderes Verdienst bei der erfolgten Hei 
lung vindiciren zu wollen, glaube ich doch in ähnlichen Fällen 
die Hände wieder nicht in den Schooß legen und die Leute 
blos mit jener Stelle des Bocksichen Buches auf die Zukunft 
und auf Selbstheilung vertrösten zu dürfen!*) 
An einer anderen Stelle sagt Bock: „den Naturhei 
lungsproceß bei Krankheiten zu fördern, ist die 
Aufgabe eines rationellen Arztes", und da er mit 
seinem kategorischen „Keine Apotheken mehr!" (Seite 
137 seiner „Supplemente zum Buch vom gesunden und'kran 
ken Menschen") selbstverständlich auch alle Apothekermittel ge 
strichen, er, der Leipziger medicinische Professor, der Seite 
240 derselben Supplemente „bei der Vincenz Prießnitz- 
schen Kaltwasserkur die alten Sünden des Pa 
tienten und seiner früheren Aerzte stromweise in's 
Bett laufen und ersaufen sieht" und bei dem „durch 
die altbackene Semmel-oder Austrocknungskur des 
Bauer Schroth jede Krankheit zum Verdunsten ge 
bracht und dann ihre Leiche in einem Semmel 
sarge aus dem Körper geschafft wird" — so fragt 
es sich^ natürlich, wie er diese Aufgabe des rationellen Arztes 
löst, den Naturheilungsproceß bei Krankheiten zu fördern? 
Wir ersehen dies aus seinen diätetischen Regeln und 
Recepten, sowie aus der Beschreibung „seiner heilen 
den und schützenden Hausmittel gegen Krank 
heiten." 
Diese Bocksichen Hausmittel sind nun: Wasser in kalter 
und warmer Temperatur, äußerlich und innerlich angewendet, 
*) A nrn. Damit will ich noch nicht sagen, daß ich ähnliche Falle 
jetzt gerade wieder mit denselben Kurproceduren behandeln würde, nnd 
daß ich glaube, das von mir damals eingeschlagene Verfahren sei das 
allein richtige gewesen Keineswegs! Ich gestehe vielmehr offen, daß 
ich die Fälle 1 und 3 heute nach Maßgabe weiterer, inzwischen gemachter 
Studien und Erfahrungen, auf eine ziemlich von jenem Verfahren ab 
weichende Weise behandeln würde, natürlich ohne alle Medicin. Der 
strebende Mensch kommt eben immer vorwärts, nur der denkfaule Hand 
werker bleibt beim bequemen alten Leisten stehen, und kümmert sich 
keinen Deut um das Wissen, Forschen und die Erfahrungen Anderer!
	        
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