Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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daran gedacht, diese Kranke der Anstalt zu übergeben, als ihm 
die Eltern, der langen, erfolglosen und kostspieligen Behand 
lung (über ein Jahr lang täglicher Besuch des Arztes und 
mehrmalige Consultation mit anderen Aerzten — das kostet 
was in der guten Residenzstadt München und kann auch ver- 
möglichen Leuten zu bunt werden!) endlich überdrüssig, mit 
theilten, daß sie beschlossen hätten, ihr Kind auf Anrathen in 
eine rheinländische Wasserheilanstalt zu schicken. Damit ihm 
die Familie nun nicht entgehe, that er endlich, was er bei 
der Erfolglosigkeit seiner homöopathischen Behandlung schon 
das Jahr vorher hätte thun sollen, wenn es ihm um die 
Heilung zu thun gewesen wäre! Er rührte sich also für 
die nominell von ihm dirigirte Wasserheilanstalt und brachte 
es dahin, daß man sie versuchsweise, wie dre Mutter mir 
nachher sagte, in's Dianabad heruntergab, denn: „Vertrauen 
habe sie zu ihm keines mehr gehabt, nach so lan 
ger erfolgloser Behandlung, und könne er homöo- 
aber anderer Ansicht und deshalb gerade habe ich diesem Krankheits 
bilde vor anderen mir zu Gebote stehenden den Vorzug der Veröffent 
lichung in diesen Blättern gegeben, weil ich damit gleich einen Bei 
trag zu dem Thema liefern kann, das der Herr Redacteur in Nr. 24 
des „Wasserfreundes" (1862) gelegentlich seiner Beschreibung von Bad 
Wartenberg zur Sprache gebracht hat, nämlich: daß vr. Schlechta, wie 
noch Andere, nur von promovirten Medicinärzten die Wasserheilme 
thode ausgeübt wissen wollen! Darüber speciell gelegentlich mehr! 
Es ist leider zur Stunde dem noch so und gewiß nickt zum 
Besten des leidenden Publikums, wie obiges Kurbild zur 
Genüge lehrt, daß nur den in der allopathischen Heilkunst promo 
virten Aerzten, mit wenigen Ausnahmen, in allen deutschen Ländern 
gestattet ist, sowohl in der Privatpraxis, als auch in Anstalten Kranke 
prießnitzisch oder schrothisch oder combinirt zu behandeln, und zwar 
ohne daß sie nöthig haben, irgendwie den Nachweis zu liefern, ob und 
wo sie diese Heilkunst oder diesen angeblichen Zweig allgemei 
ner Heilkunst sich theoretisch und praktisch angeeignet haben; denn als 
besondere, allen Jndicationen Genüge leistende Methode wird das 
„Heilverfahren ohne Medicin" meines Erachtens so lange nicht 
von Oben herab anerkannt, als wir „Medicinal co ll e g i en an 
Stelle von Sanitätscollegien" besitzen. 
Wollen solche Aerzte ferner lediglich mit dieser Methode (leider 
haben wir nun aber auch darin keine Einheit, sondern besitzen zwei 
einander wenigstens hie und da sich ziemlich schroff gegenüberstehende 
Verfahren: das Prießni tz'sche und das Schroth'sche!) ihre Kran 
ken behandeln, so ist dies ihnen ganz unbenommen, und nicht ver 
wehrt, ihre mühsam erlernte R eceptirkunst, und was 
d'rum und d'ranhängt, als unnützen Ballast über Bord 
zu werfen, oder, wenn das nicht geht, als ehrwürdige Reliquie ir 
gendwo in einem Rumpelkämmerchen des Gehirnlabyrinthes mit Staub 
sich bedecken und vermodern zu lassen. Mit dem voetor-meäieinae-Hut 
in der Hand kommt Einer durch das ganze Land, darf Einer treiben, 
was er will, wenn er die Leute nur nicht gar zu ausfalleno sterben 
läßt, was ihm mit der Prießnitz'schen oder Schroth'schen Methode, falls 
Einer nicht hagelsdumm ist, so leicht nicht passiren wird! 
Und nun gerade dieser unnütze Ballast, den jener promovirte 
Medicindoctor, der lediglich Naturarzt werden, sein und bleiben 
will, über Bord seines Aeskulap-Schiffchens zu werfen bemüht sein 
muß: den verworrenen Quark bodenloser Pathologischer Hypothesen, 
die, wie die Geschichte der Heilkunst lehrt, keinen Bestand haben, indem 
immer ein medicinisches System.das andere verwirft und jagt, sowie 
jene sublime, gewöhnlichem Menschenverstand unbegreifliche, von ihm 
nicht zu erfassende, Giftbegriff verwechselnde Therapeutik, welche ihren 
Culminationspunkt in dem modernen Hieroglyphenwerk, genannt „ R e- 
ceptirkunst" gesunden hat, — dieses specifisch-allopathische Wissen und 
Können, welches unser medicinpromovirter Wasserrenegat desavouiren 
muß, wird — risum teneatis amici! gegenwärtig noch abseiten der zu 
ständigen Behörde demjenigen als unerläßliche Bedingung gestellt, von 
demjenigen als conditio sine qua non seiner angestrebten^naturärztlichen 
Praxis verlangt, welcher aus was immer für Gründen sich dieser neuen 
Carriere widmen will!! 
Kommt Einem dies nicht gerade so vor, als verlangte man von 
einem Schuster eine Schneidermeisters-Prüfung? Und was ist Schuld 
an diesem heillosen Zustande? Ohne Frage und Zweifel lediglich 
pathisch nicht helfen, habe sie gedacht, so werde er auch 
hydropathisch Nichts verstehen!" — 
Die Anweisungen der Behandlung, die mir Dr. Sch, 
gab, waren ganz unbestimmt und ließen mir freien Spielraum, 
mit der Kranken anzufangen, was mir gut dünkte. Der gute 
Mann war ja'überhaupt auch blos pro forma da! 
Ich ließ somit die Kranke Morgens in ein feuchtes Tuch 
einwickeln (das Leintuch recht stark ausgewunden!) und darin 
liegen bis zum Gutwarmwerden, was aber anfangs nie voll 
kommen erzielt wurde, denn alles Blut war in's Centrum zu 
rückgedrängt und die peripherische Capillarität der Extremitä 
ten, namentlich der unteren, so gut wie ganz verödet und 
unwegsam; die Glieder fühlten sich immer ganz kalt an, 
mit Ausnahme des Abends, wo eine fliegende Hitze eintrat 
und die Haut sich überall trocken und brennend heiß kundgab. 
Nachdem ich mehrere Tage lang diese Erfahrung gemacht, 
daß die unteren Extremitäten sogar in dreistündiger feuchter 
der alte Mixturenzopf, von dem sich Jene noch nicht emancipirt 
haben, die, an dem Ruder des Staates stehend, das Sanitätswesen mit 
unbefangenem, von Vorurtheilen ungetrübten Blicke anzuschauen und 
.zu verwalten berufen sind! Es wäre zu wünschen, jene hochstehen 
den, gelahrten Herren nähmen in einer müßigen Stunde einmal ihre 
alten Classiker wieder zur Hand und suchten die Stellen nach, 'wo be 
richtet. wird, wie man ein Volk gesund, stark und glücklich macht, und 
wie man die Jugend erziehen muß, aus welcher thatkräftige Männer 
heranreifen sollen; nirgends werden sie Belege dafür finden, daß man 
dieses Resultat vom Standpunkte des Medicinkolbens aus erzielt! 
Das sieht doch Jeder auf den ersten Blick ein, daß dem Staate, 
wie dem Publikum mehr Garantieen geboten wären, wenn die 
Sache des ,,Heilverfahrens ohne Medicin" so in die Hand 
genommen würde, daß auf Universitäten jungen Leuten, welche sich 
dieser Heilweise widmen wollten, Gelegenheit geboten würde, sich mit 
Allem, aber nur für diesen Zweck Wissensnöthigen. theo 
retisch und praktisch bekannt zu machen, und daß denselben nach abge 
legter Prüfung gestattet wäre, nach dieser Methode als Heilkünstler 
frei zu prakticiren. Es müßten dadurch jedenfalls ganz andere Kur 
resultate herauskommen, als wenn promovirte Medicindoctoren, 
welche die Technik unseres Verfahrens nur vom Hörensagen kennen 
und die Wirkungen des Wassers und der Nährstoffe als Heilmittel 
nur vom Standpunkte des Quecksilbers, der Blausäure, des Arseniks 
als Heilmittel auffassen, in unsere Kurmethode gelegentlich hinein pfu 
schen! Dem gesunden Takte des Publikums dürfte man es ruhig 
anheimgeben, welche Aerzte es dann vorziehen würde, ob solche ge 
prüfte Solo-Naturärzte, oder jene medicin-promovirtePotpourri- 
Aerzte, von denen ein College Folgendes sagt: „Niemand soll zweien 
„Herren dienen, sagt schon die Schrift. Was man ist, muß man ganz 
„sein, muß es aus Ueberzeugung sein. Man kann nicht Allopath, 
„Homöopath und Hydropath zu gleicher Zeit sein, die Principien 
„dieser Heilmethoden stehen sich entgegen. Kann sich ein Arzt nicht 
„von den Vorzügen der Wasserheilmethode überzeugen, so halte er treu 
„und fest an der Methode, für die seine Ueberzeugung spricht, und 
„suche das Heil seiner Kranken durch diese zu erreichen; hat er sich 
„aber von den Vorzügen der Wasserheilmethode überzeugen können, 
„dann ist es gewissenlos, diese seinen Kranken aus irgend einer Rück- 
„sicht vorzuenthalten oder deren Wirksamkeit durch den Mitgebrauch von 
„Arzneien zu schmälern oder wohl gar zu vernichten! Und solche Aerzte 
„nennen sich auch Wasserärzte, sungiren als solche und sind bisweilen 
„selbst Anstalts-Directoren! allerdings aber meist nur so lange, als es 
„ihrem Mammon Nutzen bringt; ist dies nicht mehr der Fall, so satteln 
„sie bereitwillig um und taglöhnern wieder mit dem Medicinkarren, sie 
„haben keine Liebe zur Wissenschaft, sie sind Handwerker, die 
„bereitwillig den Artikel liefern, der gerade verlangt 
„wird!" 
(Es ist nur zu bedauern, daß selbst solchen Worten aus Medici- 
ner-Mund nicht sehr zu trauen ist, da es sich öfters schon zugetragen, 
daß medicinische Naturärzte — Doctores —, welche solche Worte finden 
konnten, nachher mehrfach, bei Erkrankungsfällen sogar in ihren 
eigenen Familien, wieder zum Medicinkolben gegriffen haben und 
doch nach wie vor Dirigenten von Wasserheilanstalten rc. blieben 
Auch du, Brutus! möchte man da rufen, oder besser noch Paulus! 
wie man sie in derVorrede ihres Buches der Naturheilkunde sich selbst 
nennen sieht.)
	        
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