Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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chem ist es vergönnt, einen Blick von der Bergeshöhe aus in 
dasselbe hinein zu thun. Der Trost für das Jenseits darf 
uns nicht mehr genügen, wir müssen auch schon hier kräftig 
schaffen und wirken, damit wir den Zweck des Lebens er- 
. füllen. 
Die Wissenschaft beeilt sich deshalb herniederzusteigen in 
die Werkstatt der Arbeiter; sie will nicht mehr einzelnen, son 
dern allen Ständen dienen. Darum lassen Sie auch uns 
durch gegenseitige Belehrung und Aufklärung dahin streben, 
daß jeder Einzelne in den Stand gesetzt werde, sich dauernde 
Gesundheit, als die Quelle seines Wohlergehens, selbst zu 
gründen, und daß die alte Heilwissenschaft in die Nothwen 
digkeit gerüth, in gleichem Sinne zu wirken. 
Krankencorrespondenz. 
1. Herrn C W. P. in W. bei S. Sie beschreiben 
Ihren Zustand ungefähr, wie folgt: Sie sind 68 Jahr alt, 
5 z Fuß lang, hager, wiegen nur 112 Pfund, fühlen stetes 
Frösteln, haben aufgetriebenen Leib, dauernd kalte Füße, ge 
ringen Stuhlgang (besonders im Verhältniß zu der Speise 
menge, welche Sie täglich mit gutem Appetit zu sich nehmen), 
leiden etwas an Darmvorfall bei dessen Entleerung, fühlen 
innerhalb des Mastdarmes kleine, erbsengroße Knötchen, bis- 
weiliges Brennen und Kribbeln darin; Sie empfinden magen 
krampfähnliches Gefühl, Windversetzungen, geben aber als 
Hauptleiden eine heftige Schmerzempfindung in Gegend der 
Herzgrube an, welche sich zeitweise über den größten Theil 
des Körpers verbreitet und bald als Rücken- und Kreuzschmerz, 
bald in den Schultern, Seiten, in der Leistengegend, in den 
Oberschenkeln und bis über die Kniescheiben herab auftritt. 
Im Gegensatze zu Ihrem Stuhl ist die Harnabsonderung reich 
lich und leicht, aber die Farbe dabei wasserhell, selten gelb 
lich, das Scrotum schlaff und welk. Sie datiren Ihr Leiden 
seit Beginn des Jahres 1859, wo Sie nach einer Erkältung 
Schmerz am Zapfen beim Schlucken und eine Lähmung der 
ganzen linken Zungenseite verspürten, mit Beschwerde im 
Sprechen; ein Blutschwär. welcher sich bald darauf auf der 
rechten Wange bildete, hob die Zungenlähmung und den Za 
pfenschmerz, aber nach der 6. Woche in Anspruch nehmenden 
medicamentösen Behandlung des Schwärs trat Geschmacklosig 
keit und Ekel gegen die meisten Speisen und Getränke ein; 
nur Suppe von Haferschleim oder Gerste und Brod mit Pflau 
men mundeten Ihnen. Nach anderweiter 6 Wochen langer 
allopathischer Behandlung auch dieser , Erscheinungen verloren 
sich dieselben, aber von da an trat die schmerzhafte Empfin 
dung in der Gegend der Herzgrube auf. Sie wandten da 
gegen vergeblich abführende und magenstärkende Mittel, Carls 
bad, Homöopathie, Hausmittel (nach Zeitungsannoncen) und 
kalte Waschungen des Oberkörpers durch 3 Monate, dann 
wieder Pillen, Magentropsen, Einreibungen und Brausepulver 
an — doch der Schmerz nahm zu an Intensität und eben 
beschriebener Ausdehnung. 
Zu einer Badereise sind Sie zu angegriffen, die Schmer 
zen zu heftig, das Gemüth zu gedrückt, wie Sie überhaupt 
seit 7 Jahren durch Kummer, Aerger, Verdruß, Geschäftssor 
gen —- überhaupt Seelenleiden —, viel in Anspruch genom 
men gewesen sind. 
Wir halten uns nun, bei Beantwortung Ihrer Schluß 
frage: welche Aussichten sich für Sie bei einer naturärztlichen 
Behandlung noch bieten? an die letztere Zahl und nehmen, 
wohl mit Grund, an, daß Ihr Leiden, zu dem der eigentliche 
Grund wahrscheinlich schon seit langer Zeit durch Ihren ge 
sundheitsnachtheiligen Geschäftsbetrieb gelegt war, in der 
Hauptsache schon durch das Ereigniß von 1856, nicht erst 
durch die Erkältung 1859, zur Entwickelung kam. Diese Er 
kältung hat die Entwickelung nur zu Tage gefördert, wie fast 
immer der Ausbruch oder die Wahrnehmung (Erkenntniß) 
eines bis dahin schlummernd im Körper schon vorhandenen 
Uebels durch und nach einer starken Erkältung erfolgt. 
Lassen Sie uns nun zuerst, ehe wir auf Ihre Frage der 
Heilbarkeit näher eingehen, angeben, wie wir überhaupt Ihr 
Leiden beurtheilen. Wir halten für den inneren Grund des 
selben eine mangelhafte, wenn nicht selbst ganz stockende oder 
doch höchst fehlerhaft vor sich gehende Functionirung der Le 
ber; denn wäre die Absonderung dieses Organs, die Gallen 
bereitung einschließlich der Function des Gallenbeutels und 
Gallenganges, in Ordnung, so müßte die Farbe des Urins 
eine entsprechend constant-gelbe sein; auch würden Sie nicht 
an Abmagerung und gleichzeitigem Anschwellen des Leibes 
leiden. Ihr Magen ist gut, aber die von demselben reichlich 
aufgenommenen Speisen erfahren im obersten Theile des Dünn 
darmes (dem sog. Zwölffingerdarm), wo auch der Gallengang 
einmündet und das eigentliche chemische ^Laboratorium des 
Körpers sich befindet, nicht die zu ihrer Ernährungsfähigkeit 
nöthige Zersetzung und Verarbeitung; der Hauptbestandtheil 
dazu fehlt — die Galle, mag nun die Leber selbst (als de 
ren Bereitungsorgan) daran Schuld sein, oder diese Schuld 
die die fertige Galle in sich, wie in einem Reserveraum auf 
bewahrende Gallenblase treffen, oder Mangelhaftigkeit des 
Ausführungsganges aus dieser Blase in den Zwölffingerdarm 
zu Grunde' liegen. Das Uebel entstand natürlich mcht auf 
einmal, die meiste Mitleidenheit davon aber erfuhren jedenfalls 
die Schleimhäute und Nerven des Magens, der Speiseröhre 
und der Mundhöhle, welche gewissermaßen als Ersatzorgane 
in Anspruch genommen, daher in einen Reizzustand versetzt, 
mit krankhaften Ablagerungen belästigt und so für eine Er- 
kältungssolge, wie sie 1859 an Nerven und Schleimhaut 
der Zunge sich kund gab, empfänglich gemacht wurden. Kei 
nesfalls würde das Uebel so fortschreitend, wie es geschehen, 
zur Entwickelung gekommen sein, hätten nicht die nervösen 
Allgemeinstörungen, welche der Abnormität in der Gallen- 
Absonderung und wahrscheinlich Leberthätigkeit überhaupt zu 
Grunde lagen, fortgedauert und wäre nicht eine falsche, 
die Selbsthülfe Ihres Körpers erlahmende medicamentöse Be 
handlung, vom Zungenleiden an bis jetzt, hinzugetreten. 
Wir müssen Ihnen nun, wenn wir zur Beantwortung 
Ihrer obigen Frage wegen der Heilungssähigkeit übergehen, 
offen bekennen, daß wir, (bei Ihrem Älter, bei der Dauer 
des Uebels — welches in solchen Jahren natürlich viel tiefer 
und nachtheiliger eingreifen mußte, als in jüngeren Jahren 
geschehen wäre —bei der durch die arzneiliche Behandlung 
erfahrenen directen Schwächung und immer größeren Belastung 
Ihres Körpers und auch bei dem Fortwähren der intelleetuel- 
len Gründe Ihres Krankwerdens) wohl noch Linderung 
Ihrer Schmerzen, aber schwerlich eine völlige Heilung noch 
für erzielbar halten. Unsere nachfolgenden Rathschläge gehen 
daher vor der Hand nur darauf aus, diesen Zweck der Lin 
derung zu erreichen; zeigt sich aber größere Lebenskraft 
Ihres Körpers, als wir jetzt vermuthen können, nimmt der-
	        
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