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nicht mehr versagen, neben den größeren Parthien auch einen
Seitenabstecher in's Bila-Thal gemacht zu haben.
Nach und nach legte sich aber diese Neugier, und die
Schweizermühle wurde in der Hauptsache mehr Heilanstalt,
ebenso durch das milde Klima (geschützte Lage) ihres Thales,
als durch ihre von der großen Reiseroute ziemlich abgelegene
Gegend ganz besonders dazu geeignet. Wo ein ewiges An
kommen und Abreisen von Fremden eine stete Erregung in
allen Einrichtungen einer Häuslichkeit hervorruft und damit
auch die Nerven dort weilender Kranker in Mitleidenheit zieht,
da ist kein eigentliches Asyl für die meisten Kategorien chro
nisch Leidender. Das Bila-Thal liegt auf dem linken Elb
ufer und wenn es auch ziemlich in der Mitte der sogen, säch
sischen Schweiz-Partheien in den Strom einmündet, so liegen
doch jene in der Hauptsache auf dem rechten Ufer des Flus
ses, und es läßt sich der Besuch des Bila-Thales und der
Schweizermühle nicht in so leichte Verbindung mit anderen
Parthien bringen. Zwar wählt der eine oder andere Reisende
diese Tour, um dann zugleich von der Schweizermühle aus
den Schneeberg bei Tetschen, auf der Grenze zwischen Sachsen
und Böhmen, zu ersteigen; aber auch diese Parthie hört, we
gen der Ueberwaldung des Schneeberges und des dadurch zu
nehmenden Aussichtsverlustes, mehr und mehr auf, zu den
sächsischen Schweizparthien gerechnet zu werden, und so ist die
Anstalt mit ihrer wahrhaft ländlichen und romantischen Um
gebung recht eigentlich ein heimliches Stückchen Erde gewor
den, wie es kaum besser für chronisch Kranke in dieser Bezie
hung gewünscht werden kann. Freilich will diese Nothwen
digkeit von dem Patienten begriffen sein, und wer — aber
irrtümlicher Weise zu den Erfordernissen einer chronischen
Krankheitskur die mannigfaltigste Abwechselung in nahen
Parthien nach lebhaft besuchten Oertüchkeiten und die Leich
tigkeit der Unterhaltung seines Verkehrs mit der Außenwelt,
d. h. der außerhalb des Anstaltsgehietes befindlichen, rechnet,
der darf die Schweizermühle nicht aufsuchen. Denn der Kreis
ihrer Kunst-Spazierwege (Promenaden) ist ein ziemlich be
schränkter, nicht stundenweit in die Ferne reichender und die
Gelegenheit zur Theilnahme am Weltleben des großen Reise
verkehrs in der sächsischen Schweiz oder der sächsischen Resi
denzstadt ist ziemlich zeitraubend und kostspielig von da aus.
Aber wer eine Gesellschaft von 60 bis höchstens 70 Sommer-
Kurgästen für genügend zur Befriedigung seiner soeialen Be
dürfnisse hält und die Gelegenheit eines ländlich-zurückgezoge
nen, zugleich ebenso den hygieinischen Interessen, als den An
forderungen an Naturschönheiten entsprechenden Aufenthaltes
zu schätzen weiß, der wird sich im Bila-Thale und der Schwei-
zermühl-Anstalt wohl fühlen.
Der Blick, den wir in dem beiliegenden Bilde auf das
Bila-Thal mit der Anstalt vor uns haben, geschieht von einer
höhen Felswand aus, welche sich sehr nahe hinter den Ge
bäuden schroff erhebt. Die Thalöffnung ist hier die nach
Dresden zu gelegene. Von den Häusern, welche wir vor uns
sehen, ist das zuweist rechts und entfernter stehenderer sogen.
Gasthof, der zur Anstalt gehört (s. in der vorj. Ankündi
gung S 116 des „W.-Fr." sub c); in ihm wohnt der Be
sitzer der Anstalt, der regsame und tüchtige Wirth Herr Het-
schel, auf den wir später zurückkommen, zugleich enthält er die
Anstallsküche, 1 Speisezimmer, verschiedene Wirthschaftsräume
und auch 21 Logirzimmer. Das kleinere Haus vor dem Gast
hofe (nach unserem Standpunkte zu) ist das Kursaalge-
bäude (s. am angef. O. sub b) mit recht hübschem Speise-
saal, mit Billard- (Herren-) und Damen-Zimmer. Das große
Haus links davon ist das eigentliche Kurhaus (am angef.
O. sub a) — ein ziemlich umfangreiches, zwar ganz einfaches,
aber freundliches und gut massives Gebäude mit 36 Logir-
zimmern und 6 Räumen zu den verschiedenen Bädern, welche
mit Röhrenleitungen für Quellwasser wie warmes Wasser
versehen sind. Das kleine Häuschen, unmittelbar links neben
dem Kurhause enthält das mit dem letzteren durch einen be
deckten Gang verbundene Bassinbad — eine Einrichtung,
welche sich in dieser Weise unseres Wissens in keiner Anstalt
vorfindet. Das Bassinbad' nämlich wird von dem Bila-Flüßchen
selbst gebildet, welches zu diesem Zwecke eigens durch das
betr. kleine Gebäude hindurchgeleitet ist. Es bringt dies na
türlich auch mancherlei Uebelstände mit sich, indem bei plötz
lichen Gewittergüssen das Wasser im Bade zu reißend wird
und angefüllt mit allerlei Erd- und Waldbestandtheilen; nicht
minder ist damit die Folge verbunden, daß an eine Tempe-
rirung des Bades nicht zu denken und daß im hohen Sommer
der Wärmegrad des Wassers für manche Kurzwecke zu hoch
ist. Aber mehr als ausgewogen werden diese Uebelstände doch
durch das lebensfrische Element, welches in dieser Einrichtung
das Bassin darbietet und welches es, wie gesagt, vor den
meisten Anstalten voraushat. —- Das abwärts vom Kurhause,
hinter den Bäumen hervorsehende Haus ist die Mühle, von
der wir schon oben sprachen und bedauerten, daß sie nicht
Eigenthum der Anstalt sei. Freilich hat der Müller die con-
tractliche Verpflichtung, die aus seinem Territorium liegenden
und zu den hydro-technischen Kurmitteln der Anstalt gehörigen
Douchen, Sturz-, Regen- und Wellenbäder im guten Stande
zu erhalten, wofür er von jedem dort genommenen Bade
4 Ngr. bezieht. Aber es liegt auf der Hand, daß dieses Ver
hältniß, wegen der Abhängigkeit des Anstaltsbesitzers vom gu
ten Willen des Müllers, kein günstiges für Ersteren ist^).
Aehnliches findet sich bei den zu den Wasserleitungen in
die Zellenbäder und bei den zum Trinken benutzten Quellen
vor; auch sie gehören meistens nicht zu der Anstalt,-sondern
liegen auf fremdem Grund und Boden — Uebrigens sind
aber die vom Müller unterhaltenen Einrichtungen recht gut,
und namentlich das Wellen- und Sturzbad, weil hinter den
Mühlrädern angebracht, ein sehr kräftiges. Die Trinkquellen
find, mit Ausnahme der Hausquelle, welche vor dem Kur
hause in niedlicher Weise aus einem künstlich ausgehöhlten
*) Bei dieser Gelegenheit können wir nicht umhin, uns dahin
auszusprechen, daß wir es für eine durch die Umstände fast gebotene
und dringende Nothwendigkeit für die Besitzer der beiden Anstalten
Schweizermühle und Königsbrunn erachten, ihre Anstalten zu vereini
gen, d h unter eine Direction zu stellen, und dies, wenn nicht an
ders möglich, unter Hinzuziehung einiger bemittelter Freunde der Na
turheilkunde oder auch unter ’i ildung einer Aktiengesellschaft zu thun.
Ohne hier ausführlicher auf diesen Gegenstand eingehen zu wollen,
müssen wir doch bemerken, daß folgende triftige Gründe für diese Com
bination zu sprechen scheinen: 1) hört dann die jetzt bestehende und
wehr oder weniger zu einem unfreundlich-nachbarlichen Verhältniß füh
rende Coneurrenz beider Anstalten auf; 2> die natürliche Eigen
schaft beider Anstalten (die der Schweizermühle als rein sommerliche,
ländliche, einfache, und die von Königsbrunn, als auch für den Winter
geeignet gelegen, aber noch nicht passend genug dazu eingerichtet, städtischer,
vornehmer) läßt sich dann wahrhaft zweckentsprechend, am meisten aber zu
Gunsten der individuellen Verhältnisse der Kurgäste, verwerthen ; 3) die
bei beiden Anstalten mehr und mehr hervortretenden, von der Fort
entwickelung der NatmHeilkunde hervorgerufenen und an sie gemachten
Anforderungen socialer und tonisch-therapeutischer Art werden sich
dann besser realisiren lassen — Sollte diese unsere Ansicht hie und
da getheilt werden bei den vielen Kennern und Freunden beider An
stalten und unser' Wort als keimfähiger, gesunder Saamen auf frucht
baren Boden fallen, so bieten wir auch zu fernrer Fortpflanzung der
Idee und zu ihrer Verwirklichung unsere Vermittelung an.