46
angreifend war, und mit einem lauen Bade vertauscht werden mußte.
Nach einer Wiederholung desselben am folgenden Tage trat jedoch
merkliche Besserung ein, aber nun brachte auch der Arzt mit seinen
Medicamenten dasselbe wieder so weit herunter, daß er es völlig
aufgab.
Hierauf wurde bei dem kleinen Patienten, hinter des Arztes
Rücken, die innere Hitze aller drei Stunden durch ein Lavement von
kaltem Wasser gekühlt, dem seine Mutter noch einen wenigstens un
schädlichen Umschlag von rothem Weine beifügte, wornach er jedesmal,
wie neu belebt, sich besser und ruhiger befand. Dessen ungeachtet
kehrten die Aeltern zu den allopathischen Mitteln zurück, aber nun
kam auch das Kind bald dahin, daß es der Arzt zum zweiten Male
aufgab und ihm höchstens noch 4Etunden Lebensfrist einräumte. Doch
zum zweiten Male ward es gerettet durch bloßes Wassereinflößen, alle
halbe - tunden 1 Eßlöffel voll Es erfolgte hierauf ein sechsstündiger
Schweiß, der mittels steten Wassereinflößens unterhalten ward. Der
wiederkehrende Arzt war erstaunt, und dennoch behandelte er den neu
auflebenden Kranken wieder mit den früher gebrauchten Mitteln, welche
das schwache Leben auf's Neue und zum dritten Male in die äußerste
Gefahr brachten, so daß nuu der Arzr alle Hoffnung auf längere Le
benserhaltung gänzlich aufgab. Allein auch dieses dritte Mal ward es
mittels des Wassereinflößens gerettet, und dennoch überließ man es
der allopathischen Behandlung des Arztes nach wie vor, so daß es nock-
unentschieden bleibt, ob der Arzt mit seiner Kunst über die gute Natur
des Kindes, oder diese über jenen den Sieg davon tragen wird.
Mein früheres Dienstmädchen, Namens Rosenbaum, war seit
einer langen Reihe von Jahren mit Flechten und Schwinden auf bei
den Armen behaftet, und konnte trotz des Gebrauches homöopathischer
Mittel, während dreier ganzer Jahre, nicht davon berfreit werden; im
Gegentheil wurde ihr Uebel schlimmer; denn die Schwinden nahmen
endlich auch ihre Finger bis an die Fingernägel ein. Sie entschloß
sich also, eine andere Heilmethode zu versuchen und frug einen der ge
schicktesten Allopathen um Rath. Dieser nahm sie auch, jedoch nur
unter der Bedingung in die Kur, daß sie, um seinen Verordnungen
pünktlich nachkommen zu können, ihren Dienst aufgebe. Denn
bei den Hausarbeiten aller Art, und dem häufigen Handtieren im
Wasser, sagte er, könne sie nicht besser werden; sie müsse sich wenig
stens ein halbes Jahr der Kur ganz allein widmen.
Glücklicher Weise hatte sie eben jetzt eine kleine Summe ererbt.
Diese verwendete sie mit zur Kur, und befolgte dabei die Vorschriften
des Arztes auf's Genaueste; allein geheilt wurde sie dennoch nicht.
Nun rieth ich ihr gegen diejes so hartnäckige Uebel alltägliche
kalte Waschungen nicht allein der Arme, sondern auch des ganzen Kör
pers nebst vielem Trinken kalten Wassers, bis auf 8 Kannen täglich,
und eine strenge Diät. In solcher Lebensweise solle sie nur 2 Monate
lang fortfahren und mich dann wieder besuchen. Nach Verlauf dieser
Zeit kam sie wieder zu mir und erzählte mit Freuden, daß sie völlig
geheilt sei
Seitdem habe ich sie oft, und erst vor einigen Tagen, wieder ge
sehen und mich von ihrem gegenwärtigen, jetzt bereits zwei Jahre
dauernden Wohlbefinden gänzlich überzeugt
Ueber die bei dieser glücklichen Heilung streng' beobachtete Diät
fügte Herr M. noch bei, daß sie außer jenem, bis aus 8 Kannen täg
lich zu trinkenden Wasser, Tag für Tag bestanden habe in 2 Tassen
des gewohnten Kaffees und etwas altbackener Semmel zum Frühstück,
des Mittags gleichfalls altbackener Semmel mit Obst und leichtem
Gemüse ohne Fleisch, und des Abends in zwei weichen Eidottern.
Des Naturarztes D. Helfer Leiden und Freuden.
Somatisch-hydriatische Novelle.
(Fortsetzung.)
Der Medicinalrath Dr. Kazor befand sich noch nicht all
zulange in der Nachbarschaft von Mölsitz; er hatte — vor
ungefähr 2 Jahren — an seinem früheren Wohnorte N., wo
er Oberarzt des allgemeinen städtischen Krankenhauses gewesen
war und den Namen K e z e r geführt hatte, wegen der Rück
sichtslosigkeit, mit welcher er namentlich die unbemittelten Pa
tienten dort behandelte, und wegen der Starrheit, mit der er,
sehr häufig den ausdrücklichen Wünschen auch gut zahlender
Pensionäre des Krankenhauses gegenüber, Jeden der streng
allopathischen Heilmethode unterwarf und die Bitten um Be
handlung nach den Grundsätzen der oder jener Art der Na-'
turheilmethode stolz zurückwies, einen in öffentlichen
Blättern geführten Streit mit dem Publikum gehabt und da
bei schließlich den Kürzeren gezogen, so daß er für gut befun-
den, nicht blos die Stadt, die seine Schwächen und Unge
rechtigkeiten kennen gelernt, sondern überhaupt das Land zu
verlassen. Sein Weizen war dafür in einem benachbarten
kleinen Staate erblüht, wo die Domänen - Verwaltung schon
lange in Verlegenheit gewesen war wegen Wiederaufbringung
eines ihr gehörigen, aber in moralischen und pecuniären Ver
fall gerathenen Mineralbades. Dieses Bad war dem Ex-
Oberarzte unter der Hand und mit der Aussicht auf einen
bestechenden Titel zum billigen „Pacht" angetragen worden,
Herr K. hatte zugegriffen und trat nun eines schönen Tages
als „Medicinalrath" Dr. Kazer in dem fraglichen Mineralbade
auf. Die Geschäfte mochten aber daselbst weder nach Wunsch
des betr. Domänen-Jnspectors, noch nach dem des Herrn Me-
dicinalraths selbst, ihren Gang genommen haben, Zerwürfnisse
auch persönlicher Art zwischen beiden Herren dazu gekommen
sein — kurz, der Herr Medicinalrath verließ sehr bald auch
diesen Wirkungskreis und ließ sich nun in B., der Hauptstadt
des fraglichen Staates, ganz nahe unserem Städtchen Mölsitz,
von dem B. nur durch einen Grenzberg getrennt ist, häuslich
nieder, aber nicht ohne auch seinen Namen abermals verschö
nert und aus Kazer nunmehr Kazor gemacht zu haben. Nie
mand kannte ihn in Mölsitz unter einem anderen, als diesem
Namen, und hätte nicht das Schicksal den Dr. Helfer eben
dahin geführt — den ehemaligen Unterarzt an demselben
Krankenhause zu N., der, ohne Schuld, mit zur Ursache des
Kazer'schen Austrittes daselbst geworden war — so würde
Niemand so leicht in dem Herrn Kazor den ehemaligen Kezer
kennen gelernt haben. Denn Herr Kazor war in der That,
sei es nach seinen Erfahrungen in N oder in Folge der Hof
luft, die er in B. athmen gelernt, ein Anderer geworden;
seine Starrheit hatte einer ungemein großen Nachgiebigkeit ge
gen die Wünsche seiner Patienten Platz gemacht und von den
streng diätetischen Grundsätzen der sogenannten Wiener oder
physiologischen Schule, denen er in N. als durchaus anhan
gend sich producirt hatte, war nicht viel mehr übrig geblie
ben. In seinem jetzigen Wirkungskreise verlangte man etwas
Sichtbares für das Hausarzt-Honorar oder für das überhaupt
den ärztlichen Rath erkaufende Geld —tüchtige Medicinbullen
oder doch Mineralwasser-Flaschen, womöglich aus den unver
meidlichen allerorts anzutreffenden Struve'schen diessallsigen
Beglückungs-Anstalten, und auch in Mölsitz, wo schon seit
Jahren kein Apotheker mehr seine Rechnnng gefunden hatte
und das frühere zu diesem Geschäftsbetrieb bestandene
Local bereits länger, als Folge einer Nebenthätigkeit des
Gotthold Augustin, zu eiüer kleinen Flachszubereitungs-
Anstalt umgewandelt worden war, war seit dem
Auftreten Herrn Kazor's wieder stark von der Neuerrichtung
einer Apotheke die Rede; ja, es wäre vielleicht bereits dem
Herrn Chirurg Schöppe, der sich der ganz besonderen Aufmerk
samkeit des Herrn Medicinalraths zu erfreuen hatte, die schon
einmal nachgesuchte Concession zu Nebenbeiführung von Apo
thekerwaaren gestattet worden, hätte nicht Herr Medio bei
damaliger Behandlung dieser Frage in der ersten Kammer auf
die Mißstimmung hingewiesen, welche im Allgemeinen unter
den Angehörigen der zweiten Kammer und hier ganz beson
ders in Folge der diessallsigen Ansichten des daselbst allemal
vor Eintritt in die erste Kammer viel und freundschaftlich ver
kehrenden Gotthold Augustin, gegen Wiedereinführung des
Apothekerkrams herrsche. In Folge dessen sah sich Herr Me-