Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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der Tuberkelbildung und hat dafür eine Masse Mittel, als Kali, Na 
tron, Magnesia, Rhabarber, Spießglanz und Quecksilbermittel, Baryt, 
Jod, Belladonna, Fingerhut, Leberthran, Soolbäder re meist verge 
bens und zum Schaden in Anwendung gezogen. Mit weit sichererem 
Erfolge brauchen wir die diätetische Kur (d. h. die Schroth'sche) 
mit ihren bekannten feuchteuGauz- oder Dreiviertels-Wicklungen 6 bis 
8 Stunden bei Tage oder die Nacht hindurch, Rumpf- und sonstigen 
Umschlägen ohne alle Benässung bei deren Wechsel oder Abnahme; 
der eigenthümlichen Kurkost mit Einleitung, strenger alleiniger Sem 
melernährung, Pausen mit Gemüse- und Fleischkost und der zeitweisen 
Flüssigkeitsentziehung mit darauffolgender Verabreichung von kaltem 
und warmen Weine!) und zwar, dem Alter angemessen, mehr oder- 
weniger streng. Wir erfüllen dadurch alle obigen Anzeigen, indem vor 
Allem die Verdauung verbessert wird, was die Erfüllung der anderen 
Anzeigen von selbst im Gefolge hat. Es erzeugt sich bald nach der 
ersten Kureinwirkung ein reichlicher Bodensatz im Urine, der nach und 
nach die unreinen (?) Stoffe aus der Säftemasse ausführt. Ganz be 
sonders interessant sind aber während der Kur die niemals ausbleiben 
den pechartigen, zähen, schwarzen Stuhlgänge/' 
Bezüglich der Lungentubereulose finde ich in Kad- 
ner's nämlicher Schrift Seite 57 ff. Folgendes: 
Die scrophulöse Dyskrasie, welche wohl identisch mit der 
tuberculösen Ablagerung in den Lungen ist, giebt wohl den 
ersten Grund zu diesem pathologischen Processe. Bei beidenKrank 
heitsformen, in der Scrofulose und in der Tuberculose, 
ist der Eiweißgehalt im Blute vermehrt; es geht dieses aus 
den verschiedenen zeitweise auftretenden Eiweißabsonderungen 
durch den Urin und aus dem vermehrten Gehalte des Urins 
an Harnsäure und oxalsauren Salzen hervor Entweder kann 
nun die Ursache zur Vermehrung des Eiweißes im Blute in einer zu 
großen Aufnahme von viel Fleisch und vieler nachhalti 
ger Nahrungsmittel ihren Grund haben, oder darin, daß eine 
Schwäche der Verdauung die Aufnahme der Nahrung verlangsamt, 
daß viele ungesunde, schwere Speisen genossen werden, oder daß bei 
ungesunder, feuchter Wohnung deprimirende Leidenschaften nach und 
nach Geist und Körper schwächen und das vegetative Schaffen im Or 
ganismus gänzlich herabdrücken. 
Das Krankheitsbild der Lungentuberculose ist ungefähr Fol 
gendes: Die Kranken, meist, aus Familien, wo dieselbe heimisch ist, 
haben außer den Zeichen allgemeiner Verschleimung und chronischer 
Katarrhe meist einen schlanken Bau, feine, zarte Haut, dünne Haare, 
meist sehr weiße Zähne, eine umschriebene Rothe der Wangen, ab 
stehende Ohren. Der Husten tritt periodisch auf, Anfangs 
wohl ohne allen Schmerz, vorzüglich Morg ens undAbends 
bemerkbar und dann meist trocken. In späteren Zeiträumen wird 
jedoch nach einigen trockenen Hustenanfällen reichlicher schleim aus 
geworfen, welcher bald gelblich, dem Eiter ähnlich, bald wieder weiß 
lich, oder von schleimiger Beschaffenheit ist. Nach und nach magert 
der Kranke sichtbar ab, hektisches Fieber, schwächende Schweiße 
und Diarrhoen depotenziren das plastische Leben, und der Tod er 
folgt durch tiefes Gesunkensein aller Thätigkeiten oder durch öfters wie 
derkehrende Lungenblutungen. Ost geht dieser Proceß sehr rasch, oft 
langsam und unbemerkt vor sich, da alle Symptome, welche auf Tu 
berculose schließen lassen konnten, selbst bei Anwendung der Ausculta- 
tion und Percussion*) so unbeständig, so wenig hervortretend sind, 
daß selbst dem tüchtigsten und in den physikalischen Untersuchungen be 
wandertsten Arzte die ersten Zeichen der beginnenden Tuberculose lei 
der nur zu oft entgehen können. 
Bezüglich der diätetischen Behandlung (nämlich der 
Schroth'schen) sagt vr. Kadner Folgendes: 
Wir können natürlich nur eine mehr allgemeine Therapie ange 
ben, da ja eine specielle eine Unmöglichkeit ist; jede Krankheit, jeder 
gegebene Fall wird anders sich zeigen und somit anders betrachtet (be 
handelt?) werden müssen. Wo Entzündungen drohen oder vor 
handen sind, wo heftige Fieber und Congestionen periodisch auf 
treten, sind Brustumschläge, die öfters wiederholt werden müssen, bei 
Blutungen namentlich Tag und Nacht anwendbar, kalte Klystiere, 
*) Anmerkung. Ersteres ist die ärztliche Krankenuntersuchung 
mittelst des Stethoskops (Brustspäher) durch Erforschung des Ath- 
mungsgeräusches; letzteres, die Percussion, geschieht durch An 
klopfen an die Körpertheile, wobei dann die Beschaffenheit der hier 
durch erzielten Töne auf die Existenz kranker innerer Zustände schlie 
ßen läßt. 
wohl auch Einhüllungen des ganzen Körpers. Zur Nahrung diene 
vegetabilische Kost und Haferschleim, mit oder ohne Pflanzen 
säuren. 
Sind jedoch die acuten Erscheinungen vorüber, oder haben wir 
Kranke vor uns, wo das Uebel mit Atonie (Erschlaffung) auftritt, 
dann werden die bisher so sehr gefürchteten Reiz- und Belebungs 
mittel ihre Anwendung finden. Wo nur einigermaßen Naturheil 
kraft noch dem Menschen innewohnt, wird dadurch ein glänzender, nie 
geahnter Erfolg erzielt. Das vegetative Leben, d. h. die schaffende, die 
neubildende Kraft, die Ernährung aufrecht zu erhalten, war immer 
das Streben der gebildeten (?) Aerzte; aus die bisher übliche Weise 
aber gelang es durchaus nicht; man fürchtete Reizmittel, jeden Luft 
zug, jede Austrengung; die Natur unterlag, die Krankheit blieb 
Siegerin. 
Zu den Heilmitteln, wenn die Individualität des Kranken dazu 
Anzeige giebt, gehört: als erstes Morgengetränk das heiße (!), schäu 
mende Bier mit Zucker, oder Wafferchocolade, im Laufe des Nach 
mittags auch heißer (!) Wein; als Mittagskost gebratenes oder gedünste 
tes Fleisch, wo möglich etwas fett, mit gutem Brühgemüse, nament 
lich Reis, Sago, jungen Bohnen, Schoten und Möhren, Pastinakwur 
zeln, Linsen, Erbsen und weißen Bohnen, Abends heißes (!) Bier, heißer (!) 
und kalter Wein, Haferschleim mit Wein und altbackener Semmel, 
auch zeitweise Wurzeln und Früchte, wie Radieschen, Rettige, Erdbee 
ren mit Wein und ^Zucker, süße Birnen, Heidelbeeren. Es gehört 
ferner hierher die consequent durchgeführte Ausdehnung der Brustmus 
keln und dadurch die der Lungen selbst, und zwar deshalb, damit diese 
zur Aufnahme von Sauerstoff geeigneter werden und ein gesünderer 
Stoffwechsel und eine regelmäßigere Ausscheidung möglich wird. Was 
so klar vor Augen liegt und zu begreifen ist, wird leider von den Aerz 
ten bis auf nur einige übersehen; was, fragen wir, ist bei dieser^bis 
jetzt so unheilbaren Krankheit in den Lungen? Tuberkeln*), die 
entweder noch roh sind, oder Eiterhöhlen, oder erschlafftes, zusammen 
gesunkenes, blutleeres Gewebe der Lungen. Konnte dieser, das Leben 
zerstörende Proceß durch die bisher übliche Heilmethode aufgehalten 
werden, konnten diese krankhaften Ablagerungen durch (pharmaceutische 
Heilmittel ausgeschieden werden? 
Der Wein, welcher in der Diätotherapie theils zur Belebung 
und Anregung, theils zur Auflösung der abgelagerten Krankheitsstoffe 
verordnet wird, hat bei dcr Lungenschwindsucht noch einen besonderen 
Werth. Wir sehen, daß bei dieser Krankheit, trotz dem Genusse 
von Milch, Molkern?), Fleischbrühe und kräftigem Fleische 
die Ernährung zurückgeht und der Kranke an Gewicht ver 
liert, eine Thatsache, die sich am allerwenigsten auch durch sogenannte 
stärkende Arzneimittel beseitigen läßt. Es mußte also ein anderer Weg 
eingeschlagen werden, um das darniederliegende vegetative Leben wie 
der emporzurichten, diese Möglichkeit nur davon erwartend, daß die 
tuberculösen Ablagerungen ausgestoßen und Neubildung 
derselben verhütet würde. Eine Umwandlung, ein neues Le 
ben muß erzeiLgt werden, und als einzig (?) dies bewirkendes Hülfs 
mittel neben den übrigen Kurmaßregeln hat die Erfahrung den star 
ken, kräftigen Wein (feurigen Rheinwein, starken Ungarwein) ge 
sunden. Das kräftige, etwas fette Fleisch oder sonstige mehr fette Nah 
rungsmittel, welche vorher genossen werden, finden dadurch leichtere 
Verdauung und Verwerthung zu Gunsten des Körpers, und bringen 
unter Berücksichtigung der betreffenden Kurmaßregeln eine Reaction zu 
Stande, die nach und nach die Genesung anbahnt. Hierbei ist kein 
Nachtheil durch Congestionen oder Hervorrufung entzündlicher Zustände 
zu fürchten; dieselben kommen eben nur so weit zu Stande, als sie zu 
dem Heilprocesse nothwendig sind. Die Gabe des Weines beträgt je 
nach den Umständen 1—2 Glas, oft auch mehr, eine halbe bis eine 
Flasche**). 
*) Anmerkung. Unter „Tuberkel" versteht man ein bald grau, 
bald gelblich, bald weicher, bald härter in Knötchenform anstretendes, 
krankhaftes Product, welches frei von Gefäß- und Faserbildung ist, 
bald einzeln zerstreut, bald in größere Massen zusammengeschichtet er 
scheint. Man unterscheidet die grauen Tuberkeln, (wohl die mildeste 
Form dieser krankhaften Bildung), sodann die gelben und zuletzt die 
eiweißstoffigen, die sogenannten Miliartuberkeln, die gefährlichste Form. 
Worin das Wesen des Tuberkels von seiner Entstehung an eigentlich 
besteht, darüber sind die Acten noch nicht geschlossen, un 
sere Pathologen noch nicht im Reinen. 
•*)' Anmerkung. Dr Kadner wird hier VaterSchroth abtrün 
nig und folgt einem gewissen Dr. Brehmer in Görbersdorf im Rie- 
sengebirge, dessen Behandlung „Tuberkulöser" darin besteht, daß er 
sie viel in der reinen Gebirgsluft spazieren gehen, auch in der Sonne
	        
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