Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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Druck von Liepsch & Reichardt in Dresden. 
Verantw. Redakteur und Verleger: vr. Me inert. 
(im vor. Jahrgang dieser Zeitschrift) gesehen haben, am Ende 
oder, wenn wir wollen, auch am Anfange des Gebirgsstädt- 
chens Mölsitz, da, wo das „Perlflüßchen", nachdem es das 
Grenzgebirge durchplätschert, zuerst das Mölsitzer Gebiet be 
rührte. Ziemlich nahe am Rühle'schen Häuschen war der 
„Perlbach" mit einer recht taktfesten, steinernen Brücke über 
setzt, und auf den aus dicken Platten behauenen Einfassungen 
dieser Brücke saßen jetzt verschiedene Leute, Männer und Wei 
ber, welche auf Jemanden zu warten schienen und sich inzwi 
schen lebhaft unterhielten. Aus dem Fenster der Unterstube 
aber, welche die Wohnstube der Rühle'schen Familie war, lag 
Herr Rühle mit dem Oberkörper heraus, offenbar um sich an 
den Strahlen der jetzt noch einmal recht einladenden und lockenden 
Herbstsonne zu erquicken. Sein Blick war indeß heute ziem 
lich ernst, und wer ihn mit uns am Abend vorher sammt 
Gattin und Tochter und in Gesellschaft ihres neuen Mieth- 
bewohners, Dr. Helfer, beim Vorkirmeskassee mit Kartosfelkuchen 
gesehen, hätte den Mann kaum wieder erkannt — ein so 
finsteres. schmerzersülltes Gesicht trug derselbe jetzt an sich. 
Er sah still aus die wenigen im Gärtchen noch blühenden 
Astern herab — bis sein Ohr von dem Gespräch der draußen 
vor dem Gartenzaune aus der Brücke sich ebenfalls sonnen 
den Landbewohner, welche zum Theil schon im Hause gewesen 
waren und nach dem „neuen Doctor" gefragt hatten, getroffen 
wurde. Die guten Leutchen äußerten so ganz absonderliche 
Ansichten und Erwartungen von dem „Wunderdoctor", dessen 
Ankündigung in der Dorszeitung ihnen zu Gesicht gekommen 
war, daß Vater Rühle trotz der schmerzlichen Gefühle, welche 
ihm das augenblickliche Leiden seiner Tochter Malchen verur 
sachte, doch nicht umhin konnte, den Reden dort aus der 
Brücke einige Aufmerksamkeit zuzuwenden. „S'ist ein neuer 
Prophet", sagte die eine Stimme, „der, wie der Moses es 
gethan, auch bei uns eine neue Quelle aus dem B erg hervor- 
citiren wird — aber 'ne Quelle nicht von gewöhnlichen: Was 
ser". „Ich hab' 'mal von einer Mühle gelesen, fuhr eine 
zweite Stimme fort, da wurden alte Leute oben alt 'reinge 
steckt und unten kamen sie jung wieder 'raus -— sollt's nid)' 
so en verkappter Müller - Hexenmeister sein -- treibt's ja 
auch.mit Wasser?!" „Aber sechs Wochen lang dem Manne 
zuhören müssen — weinte ein Dritter —, das ist doch viel 
verlangt; freilich, wenn man dann 5 Jahre und 46 Wochen 
drauf Ruhe zu Hause hätt', wär's schon was Anderes." 
„Hört, Ihr Leute, — fiel da ein Vorübergehender in's Wort, 
der aus der Kircheinweihung von Neuwiese kam — hört, 
ich rath' Euch, wenn Ihr etwa hier des neuen Doctors we 
gen sitzt, seht Euch vor! Der Pfarrer hat eben ernstlich vor 
dem gewarnt - denn wer auf dem „Windsbrausen" daher 
reiten will, hat er gesagt, der kann nur aus der Hölle 
stammen!" „Meint Ihr wirklich — frug ängstlich eine 
Frauenstimme — ich gehe mit Euch — nehmt mich mit fort 
von hier." „Ach, dummes Zeug! — ließ sich setzt eine Stimme 
hören — 's giebt gar keinen Teufel und auch keine Hölle, 
und wenn's doch eine gäbe, so wären die Aerzte und Pfarrer 
erst recht ihre Diener! Denn wer spedirt denn mehr als die 
unter die Erde? Und der hier will's eben anders machen, 
als die gewöhnlichen Doctors; Ihr hört's ja, von den Arz 
neien will er nichts wissen und da kann er also auch nicht so 
leicht als die Andern da hinab (bedeutungsvolle Pantomime 
gegen die Erde zu machend) spediren." „Na! ich riskir's auch, 
fügte eine neue Sprecherin hinzu; hat mir doch neulich so ein 
Teuselausjreiber versichert, nachdem er mich längere Zeit ge 
strichen und gewalkt und dazu gemurmelt: „der böse Geist, 
der mir bis daher im Leibe gesessen und mich gepeinigt, sei 
nun fort, er habe ihn selber zum Fenster 'nausfahren geseh'n", 
und den andern Tag hat's doch wieder hier hinter'm Schnür- 
leib zu wüthen ang'fangen, und 's ganze alte Uebel war noch 
da — nur 's Geld war fort — vielleicht sann der's hier 
besser!" 
Da tönte auf einmal eine Stimme, die Herrn Rühle sehr 
bekannt vorkam und sprach zu den Leuten aus der Brücke: 
„Seid nicht so einfältig, Ihr Leute, zu glauben, daß irgend 
Jemand Euch Uebernatürliches anthun könne. Aber 
Unnatürliches giebt's, und das ist das, was gegen die 
aus der lieben Gotteserde und auch in uns waltenden Natur 
gesetze verstößt. Ein solches Naturgesetz bei unserem Leibe 
will z. B„ daß das Blut unserer Adern immer gehörig von 
Innen aus nach der äußeren Haut laufe und dort mit der 
Luft in Berührung trete, damit es seine unreinen Theile an 
dieselbe möglichst durch die Hautporen hindurch abgebe, die 
reine Lust aufnehme und so das Blut immer mehr und mehr 
verbessert werde. Wenn nun aber Jemand die ganze liebe 
Woche lang sich nicht am Körper wäscht, wie soll da das 
Naturgesetz gehörig .walten können? wenn er im Gegentheil 
Schnaps und heißen Kaffee und neubacken Brot, geröstete und 
mit Butter bestrichene warme Kartoffelscheiben Tag für Tag 
in den Magen hinunterschiebt und dadurch eine Qual für die 
Häute des Magens und der Därme herbeiführt, gegen die sie 
sich nur durch Zurückbehaltung vielen Blutes in ihrer Nähe 
und durch Bereitung von außergewöhnlich viel Magensaft, 
Darmspeichel und Galle einigermaßen und eine Zeit lang Er 
leichterung verschaffen können — dreht da der Mensch die 
Natur nicht geradezu um, indem er den Reiz und die Anre 
gung zur Blutströmung, die äußerlich an seiner Haut al 
lenfalls gerechtfertigt sind, innerlich anwendet, also da, wo sie 
gar nicht hingehören, weil sie den naturgemäßen Blutlaus auf 
halten, ja umkehren und somit Unnatürliches thun? Ihr 
Alle, die Ihr hier steht und sitzt, Ihr Alle, geht erst heim 
und fangt an, Natürliches zu thun; wascht Euch täglich 
Euern ganzen Leib mit reinem Wasser, ehe Ihr an Eure Ge 
schäfte geht, trinkt nicht mehr Heißes, nicht mehr Schnaps, 
eßt nicht mehr sehr Fettes und stark Gesalzenes, lebt vielmehr 
mild und vor allem mäßig, d. h. mit der Hälfte, ja dem 
vierten Theil von dem, was Ihr jetzt, außer dem klaren, fri 
schen Quellwasser, täglich gegessen und getrunken habt — und 
erst wenn Ihr 4 Wochen lang so gelebt und so das Natür 
liche vom Unnatürlichen und Uebernatürlichen trennen gelernt 
habt, dann kommt wieder hierher, hier in dieses Haus eine 
Treppe hoch zu' Dr. Helfer — der ich bin und der Euch dies 
wohlmeinend, aber ernstlich, gesagt hat!" (Forts, folgt.) 
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Erfahrung Hydropath ist, könnte in einer größeren 
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