Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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Man darf Wohl Niemanden tadeln, wenn ihm eine solche 
Mangelhaftigkeit in der Sorge für den Kranken nun als 
Gleichgültigkeit, Schlendrian oder Unkenntniß erscheint, mit' 
der die reichlich bezahlte Kunst ihre Zahler sowohl, als auch 
das Vertrauen der mit voller Zuversicht sich ihr hingebenden 
Kranken mißhandelt. Zurückkommend auf die erwähnten 
Schmierkuren muß als eine Unbegreiflichkeit noch besonders 
hervorgehoben werden die haarsträubende, aber wahre That 
sache, daß dem für das Dampfbad angestellten Badediener 
neben Bedienung der Dampfenden auch oft unter Einem die 
Function obliegt, die Schmierkuren mit eigenen Händen an 
den Krätzigen und Syphilitischen zu vollziehen, wodurch, ab 
gesehen von den ekelhaften und schädlichen Einflüssen auf 
die Dampfenden, dieser Diener theils durch Einathmung, 
theils durch Aufsaugung in die Haut, geradezu ver 
giftet wird, eine Bestimmung, die im Hinblick auf ihre 
furchtbaren weiteren Folgen nun als ein Seitens der „Wis 
senschaft" an ihm und an seinem Leben begangenes At 
tentat bezeichnet werden muß. Und hier ist der Moment, 
wo die Stimme jedes fühlenden Menschen um Abhülfe schreien 
muß. Entsetzlich ist der Eindruck des Gedankens: ein gesun 
der, kräftiger Mann erhält als Lohn seiner Bemühungen um 
die Pflege der Kranken eine gräßlich zerstörende Vergiftung 
durch oft vieljährige, fast tägliche Einwirkung der durch die 
Athmungsorgane, wie durch die Haut in sich aufgenommenen 
Gifte, und dies blos deshalb, weil die medicinische Wissen 
schaft in ihrer Gedankenlosigkeit es nicht vermag, die furcht 
bare Schädlichkeit ihrer Giftwirthschaft zu erkennen und sich 
wie absichtlich dieser Erkenntniß verschließt. 
So lange die Aerzte nur in Beibringung von Giften, 
von zerstörendsten Giften, das Heil der Menschen sehen, wartet 
der schaudernde Menschenfreund vergebens auf Hülfe, und ist 
diese umsoweniger denkbar, je mehr es den Aerzten gelingt, 
selbst auch bei dem gebildeten Theile des Publikums jede 
Ahnung von der Schädlichkeit solchen Verfahrens fern zu hal 
ten, sohin jeden Verdacht in ihr verderbliches Treiben gera 
dezu unmöglich zu 'machen. Möge daher die zunehmende Ver 
breitung der Naturheilkunde und ihrer Grundsätze, wie bereits 
auf die Einführung von Bade-Einrichtungen in den Spitä 
lern, so auch je eher auf die Beseitigung der das Menschen 
geschlecht in seinem wichtigsten Interesse — dem Leben — 
so sehr bedrohenden Mercurial- und der sonstigen' damit 
verwandten Kuren erfolgreichen Einfluß üben und die Mensch 
heit von einer der folgenschwersten Qualen befreien! 
Des Naturarztes v. Helser Leiden itub Freuden. 
Somatlsch-hydriatische Novelle. 
(Fortsetzung.) 
„Denke nur, liebe Frau, begann Herr Augustin, Herr 
Dr. Helfer hat eine ganz andere Ansicht vom Wesen der 
Bleichsucht, als Herr Medicinalrath Kazor und auch die an 
deren Aerzte, die wir vor ihm wegen Bertha zu Rathe gezo 
gen haben; er meint, der Grund des Uebels liege nicht fo= 
wohl (— oder wenigstens durchaus nicht immer, sondern 
gerade in den selteneren Füllen und auch nur indirect, 
ergänzte Herr Dr. H. —) im Blute, als im Gefäßsystem, 
vorzugsweise in dem Theile der Blutadern, welche, ganz un 
endlich feinen Haarröhrchen gleich, als Enden der Arterien 
und Anfänge der Venen in der äußeren Haut enthalten sind. 
Dr. Helfer. Sehr richtig; indeß Sie müssen mich 
recht verstehen: dieser abnorme Zustand in den Haut-Blutge 
fäßen bei Bleichsüchtigen hängt sehr wesentlich mit ab von 
der mangelhaften Nervenbeschaffenheit derselben. Wo weni 
ger Blut, als die Natur normal will, in der äußeren Haut 
circulirt, da ist gewöhnlich das Nervensystem mit oder auch 
allein Schuld daran und der Grund dazu wieder., wie wir 
vorhin besprachen, gewöhnlich sowohl in der inneren, als in 
der äußeren Lebensweise des Menschen gelegten, d. h. er ver 
dirbt seine Nerven oder bekommt sie verdorben durch falsche 
Diät bei Speise und Trank und durch verweichlichende Klei- 
dungs-, Wohn- und Schlafart. Ich sage also: innerlicher 
Reiz und äußere Erschlaffung der Nerven muß das Blut aus 
der Haut entfernen, in der Verdauungssphäre und ihren Or 
ganen widernatürlich ansammeln, und mithin eine gestörte 
Blutcirculation, diese aber wieder all' die Folgen herbeiführen, 
welche die Bleichsüchtigen empfinden und wir an ihnen wahr 
nehmen. Von der Beschaffenheit des Blutes selbst gehen sie 
am seltensten aus, oder wohl nie! 
Frau Augustin. Aber wie kommt es denn, daß doch 
die Eisenkuren bisweilen helfen? 
Dr. Helfer. Wenn Sie die betr. Individuen genauer 
in's Auge fassen und dabei ihre Abstammung, ihre Lebensweise, 
namentlich auch den Umstand des Wohnens, sorgfältiger, 
als es gewöhnlich geschieht, berücksichtigen, werden Sie finden, 
daß in der Regel die äußere Lebensweise Momente in. sich 
trug, welche eine gewisse Kraft der Haut und ihrer Nerven 
und Gefäße aufrecht zu erhalten geeignet waren. Sie werden 
z. B. immer finden, daß Mädchen auf dem Lande, welche einen 
weiten Schulweg zu machen, vielleicht auch zu Hause noch überdies 
in der Wirthschaft der Eltern Beistand zu leisten, also sich 
stärker auszuarbeiten oder, was dasselbe heißt, ihre Muscula- 
tur zu bewegen haben, von der Bleichsucht im Allgemeinen 
verschonter bleiben, als solche, deren Verhältnisse für Abhär 
tung der Haut durch Luft und Ausbildung des Muskelsy 
stems durch Bewegung nicht so günstig gestaltet sind. Tritt 
nun bei einem Mädchen der ersteren Art — und glücklicher 
Weise giebt es deren auch in den Städten, da doch viele 
Eltern, selbst wenn es nicht aus Ueberzeugung von dem dies- 
fallsigen Nutzen für den Körper ihrer Kinder geschieht, weit 
entfernt von deren Schulen wohnen müssen und Andere' 
wieder aus pecuniären Gründen veranlaßt sind, die Kinder 
zeitig allerhand, Bewegung und Muskelausarbertung bereitende 
Besorgungen verrichten zu lassen — in Folge unzweck 
mäßiger innerer Lebensweise, die sich dann meist mit „Ueber- 
fütterung" bezeichnen läßt, Bleichsucht doch ein, so würde sie 
meistens bei irgend vernünftiger Einschränkung in der Diät 
ohnedies wieder schwinden, d. h. das normale Blutleben in 
den Gefäßen, namentlich auch der äußeren Haut, wieder das 
Obergewicht erlangen. Aber auch ein vorübergehender starker 
Reiz, auf die Drüsen und Nerven der Schleimhäute des Ver 
dauungscanals ausgeübt, vermag, neben der Reinigung der 
Därme mittels der momentan erhöhten Thätigkeit der Schleim 
drüsen, durch die vermöge eines in den Blutgang übergeführ 
ten, dem Organismus fremden wenigstens in der Einfüh 
rungsform fremden — Gegenstandes allerwärts auf das Ner 
vensystem und damit auch auf die Blutgefäßwandungen aus 
geübten Erregung eine, wenn auch etwas gewaltsam herbei 
geführte, aber immerhin erhöhte Blutcirculation zu
	        
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