Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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piden Charakters. Ein besonders interessanter Fall war fol 
gender: 
Die Gattin des Kaufmann B. in L., an chronischer 
Lungen-Entzündung und Asthma leidend, unterzog sich (hier 
in V.) der Wasserkur, und zwar gegen den Willen ihres 
Gatten, wie gegen den Willen ihres Bruders und Schwa 
gers, welche letztere beide allopathische Aerzte waren. Doch 
da gerade diese nicht anwesend waren, wurde ihre Opposition 
leichter überwunden, und auch die Vorurtheile ihres Gatten 
überwältigte endlich die Frau mit ihrer großen Vorliebe zur 
Wasserkur. Sie unterzog sich einer dreimonatlichen Kur 
mit sehr gutem Erfolge, welcher dann natürlich ihr Ver 
trauen allgemein für die Hhdriatik gewann. Kurz nach Rück 
kehr in ihre Heimath erkrankte ihre jüngere 6 jährige Tochter 
am Typhus und sie hätte mir selbige gar zu gern sogleich 
zur Hhdriatischen Behandlung anveraut, wenn hier nicht vor 
her eine ganze Phalanx von Familien-Gegnern zu überwin 
den gewesen wäre — vor Allen Bruder und Schwager als 
allopathische Aerzte, und durch deren Einfluß der Vater, die 
ganze nachbarliche Basen- und Vetterschaft. 
Doch der Mensch denkt's und — Gott lenkt's! 
Die Kranke wurde unter der beiden obgenannten Aerzte 
Behandlung immer schlechter, es wurde noch ein dritter- Al 
lopath (der erste der Stadt) herbeigezogen — kein besseres 
Resultat; endlich wurde das Kind dem ersten Homöopathen 
übergeben, doch auch unter diesem ging's stetig bergab mit 
den Säften und Kräften, während die arme Mutter fortwäh 
rend , aber vergeblich und unter Thränen für die Hydrothera 
pie stritt. 
Endlich nachdem die Hoffnung von der ganzen Umgebung 
für die Kranke aufgegeben worden, ward der Mutter vom 
hohen Familien-Concilium nachgegeben und ihr bewilligt, die 
Halbtodte dem Hydropathen zu überantworten. Ich wurde 
gerufen, die Kranke zu untersuchen und meine Meinung ab 
zugeben. 
Die Kranke, obwohl fürchterlich abgezehrt, war nicht 
mager anzusehen, da sie allgemein wassersüchtig angeschwollen 
war; sie urinirte bereits seit mehreren Tagen nicht, war da 
bei zum Entsetzen schwach, so daß Arme und Beine beim Auf 
heben wie an Fäden herunter hingen; Puls beinahe faden 
förmig zwischen 130 und 140 Schläge in der Secunde, Haut 
trocken, schmutzig, graulich-gelb; Zunge trocken, lederartig rc. 
Mein Gutachten lautete: „Die Kranke ist noch rettbar, weil 
besonders im Typhus die Wasserbehandlung Außerordentliches 
leistet, und die Hoffnung bei naturgemäßer Unterstützung sol 
cher Art Kranker nie aufzugeben ist, so lange noch ein Le 
bensfünkchen brennt — allein garantiren kann ich sie Ihnen 
nicht!" Nichtsdestoweniger schwelgte die gute Frau im Vor- 
genusse freudigster Hoffnung — herbeigeführt durch ihren 
endlichen Triumph! 
Die sofort in Angriff genommene Behandlung wirkte 
schnell günstig. Ich unterlasse, die Behandlung speciell ausein 
ander zu setzen, weil ich glaube, daß sie doch nicht maßgebend sei; 
wenn sie indessen die Redaction wünschen sollte, so werde ich 
gerne solche später nachtragen*) Schon in der ersten nassen, 
zum Dünsten ausgedehnten Einpackung stellte sich Urinirungs- 
Bedürfniß ein rc. rc. — doch gab es immerhin bei solcher 
*) Anm. der Red. Wir würden dem Herrn Verfasser allerdings 
im Interesse unserer Leser für die specielle Angabe der Behandlung 
dankbar gewesen sein. Denn wir wünschen ja gerade für solche Fälle 
'die Angehörigen einer Familie selbstständig im physiatrischen Handeln 
zu wachen. 
nach 7 wöchentlicher medicinischer Behandlung so weit herab 
gekommenen Kranken manch' schweres Stadium durchzumachen, 
gegenüber den die Kur fortwährend mit schielen Augen über 
wachenden Verwandten. Am meisten Kampf verursachte, bei 
der beständigen Beobachtung der beiden Onkel-Aerzte, das 
später erwachende kräftige Fieber. Nachdem bei der Kranken 
ein förmlicher Umschwung, ein auffallender Wendepunkt vom 
Momente der ersten hydriatischen Application an eingetreten 
war, erwachte nämlich allmälig ein immer kräftiger werdendes 
Fieber, bis zu einem mittleren Grade sich entwickelnd, gegen 
welches der jüngere Onkel-Arzt stets laut declamirte und er- 
erklärte: 
„Dieses Fieber müsse man beseitigen; wenn 
dies nicht geschehe, komme die Kranke nicht auf, 
im besten Falle werde sie viel langsamer genesen", 
— während der ältere Onkel-Arzt schwieg und still beob 
achtete! Natürlich ließ ich jene Deductionen nicht gelten, son 
dern erklärte ebenso laut, daß dieses Fieber Heilungs 
charakter habe, wirkliches Neubildungs- oder An 
satz-Fieber sei, was ja handgreiflich vorliege, denn die 
Kranke nehme sichtlich zu an Wohlsein, Kraft und Fleisch. 
Daß jener Arzt seine Theorie fest glaubte, bezweifle ich kei 
nen Augenblick; nichtsdestoweniger lag die Absicht vor, mir 
die Kranke, nachdem die größte Gefahr mit ihr überstanden 
war, wieder aus den Händen zu spielen und sich dann,' als 
den Befreier vom Fieber — dadurch als den Erretter hinzu 
stellen! — 
Doch — in meiner Ansicht und Ueberzeugung fel 
senfest — ließ ich die Kranke nicht los, fuhr fort, sie 
streng und rein hydriatisch zu behandeln und hatte dabei, Gott 
Lob, die Satisfaction, zu beobachten, wie bei stetig voller, 
aber ruhiger werdendem Fieberpulse dieselbe an Fleisch und 
Kraft zunahm, so daß ich sie nach 7 langen Wochen als reine 
Reconvalescentin entlassen konnte! 
Mein Standpunkt in der betreffenden Stadt war ge 
wonnen ! 
Vierzehn Tage nach dem Umschwung der Krankheit der 
Nichte war der stille, beobachtende, ältere Onkel-Arzt — frü 
her mein entschiedener Gegner — nun selbst eifriger Client 
in meinen Händen. 
Nach einer dreimonatlichen Kur, gegen Hypochondrie, 
Schlaflosigkeit und allgemeine Apathie, von welcher er voll 
ständig befreit wurde, ward er auch überall hin mein treuer 
Vertheidiger 
Aehnliche Zunahme an Kraft und Fleisch, mit Fieber be 
gleitet, beobachtete ich noch in 6 anderen Fällen; doch ver 
steht sich, ging denselben irgend eine Krankheit stets voraus, 
wodurch der Organismus, der Muskel-Masse nach, vorher be 
deutend herabgebracht wurde. 
Fieber betrachte ich daher in seiner Allgemein-Wirkung 
als eine erhöhte Bildungsthätigkeit (Verbindungsproceß), äußer 
lich wahrnehmbar in größerer Erregtheit des Nerven- und 
Gefäß-Systems. 
Diese gesteigerte, bildende Thätigkeit kann sich sowohl auf 
die Bildung organischer Auswurfs-Stoffe in Schweiß, Urin, 
Geschwüren, Secreten rc. rc. (Rückbildung der abgelebten 
Materie) werfen, was auch in" den meisten Fiebern der Fall 
ist, als wie auf die Bildung neuer Materie (Ansatz oder 
Neubildung), welche Fieber indeß jedenfalls ungleich seltener 
vorkommen.
	        
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