Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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Wasser besonders hervorhebe, weil beide am meisten in unse- 
I rer Gewalt stehen und beide — namentlich aber das Wasser 
in seiner sehr verschiedenen Anwendung — die verschieden' 
artigsten Einflüsse auf den Körper zulassen. — 
Ich schließe mit einem Ausspruche des vr. Gleich. 
, Derselbe sagt: „Die Urväter der Vorzeit wußten nichts von 
, Mixturen, Pillen, Pulvern, Metall- und Pflanzengiften, nichts 
von Aderlaß, Blutegeln, Schröpfen, Vesicatoren und von Mi 
neralwässern, diesen schädlichen Giftbrunnen, sondern sie ver 
ordneten strenge Diät (Fasten) und schickten ihre Kranken in 
die Bäder von reinem, frischen Quellwasser." 
Des Naturarztes d. Helfer Leiden und Freuden. 
Somatisch-hydriatische Novelle. 
(Fortsetzung.) 
' „Sie sind Herr Dr. Helfer, der Wasserarzt? sagte er, 
noch etwas zurückhaltend, aber offenbar mehr freundlich, als 
mißmuthig. Ei, da habe ich mir doch etwas ganz Anderes 
unter Ihnen und unter Ihrer Wasserkur vorgestellt; — bitte 
recht sehr um Entschuldigung, wenn ich bisher unbewußt als 
Ihr Gegner aufgetreten bin. Ich freue mich jetzt im Gegen 
theil außerordentlich, daß Mölsitz in Ihnen einen so tüchtigen 
Arzt besitzen wird, und dieser Nachmittag schon wird mir 
Gelegenheit geben, Sie mit unseren Honorationen bekannt 
zu machen — mit meiner Frau kann es sofort geschehen; 
denn eben sehe ich sie ankommen. Sie wird voller Angst 
und erstaunt sein, Bertha außer Bett zu finden, denn sonst 
haben solche Ohnmachtfälle und die dabei nöthig gewesenen 
Aderlässe in der Regel tage-, ja wochenlange Erschöpfungen und 
Betthütung nach sich gezogen. Und Sie bringen es in wenigen 
Viertelstunden mit Ihrer Kurweise dahin, daß sie gewaschen 
werden und aufstehen kann?! Eminent! Erlauben Sie da 
her, daß ich Sie sofort Meiner Frau vorstelle." 
Herr vr. Helfer hatte nicht Zeit, auf diesen plötzlichen 
Augustin'schen Redefluß zu antworten, denn Roß und Wagen, 
vom dienstfertigen Knechte zu brausender Geschwindigkeit an 
getrieben, waren schäumend und schmutzbedeckt schon vor ihnen 
angefahren und aus dem geöffneten Kutschenschlage stieg blaß 
und mit der Miene der Ergebung die schwarzgekleidete Frau 
Augustin. 
„Liebe Frau, beruhige Dich," begrüßte sie Herr Augustin; 
„es geht schon viel besser mit Bertha — Du wirst sie eben 
wieder angekleidet vorfinden und das haben wir diesem Herrn 
hier zu danken, in dem ich Dir unseren neuen Einwohner, 
Herrn vr. Helfer, Präsentire." — „Ich eile", sagte dieser auf 
die stumme Verbeugung der Frau, „Sie Ihrem Töchterchen 
zuzuführen; die Toilette wird wohl eben in der Hauptsache 
beendet und Fräulein Bertha , wie ich hoffe, im Stande sein, 
ebenso leidlich wohl, wie vorher, Sie zurückzubegleiten/'" 
Man begab sich hierauf in die Schulmeisterwohnung zu 
rück, und kaum daß die Thür des Wohnzimmers geöffnet 
war, eilte Bertha, ziemlich schon völlig angekleidet, ihrer Mut 
ter entgegen und versicherte ihr, es sei nichts gewesen, lange 
nicht so schlimm, wie sonst, und sie fühle sich kräftig nach 
dieser Ohnmacht und Waschung, wie noch nie zuvor bei ähn 
lichen Anlässen. 
Mit einem stummen Blicke nach Oben zog Frau Augustin 
das Mädchen an ihre Brust, dankte der Schulmeisterin und 
Frau Pastorin mit innigen Händedrücken für die thätige und 
sorgsame Hülfe, die sie — wie Bertha und Herr Augustin 
jetzt erzählten — der Erkrankten erwiesen, ermahnte aber dann 
zu der nach ihrer Ansicht für Bertha nöthigen Rückfahrt. —- 
Diese Rückfahrt gab indeß vr. Helfer nicht so unbedingtzu, 
meinte vielmehr, einen Theil des Weges werde das Fräulein 
viel nützlicher gehen und erst dann den Wagen, der nebenher 
fahren könne, benutzen, wenn jedes in Folge der Waschung 
etwa noch vorhandene Kältegefühl durch Fußbewegung besei 
tigt sei. Nur wenn das Fräulein die Wahrnehmung wirk 
licher Schwäche noch machen und sich also zum Gehen nicht 
fähig fühlen sollte,., könne und müsse sofort im Wagen Platz 
genommen werden; es sei dann aber auch sorgfältige Bedek- 
kung und Einhüllung des Körpers nöthig. 
Jetzt erst erfuhr Bertha, wer der Fremde sei, der sich 
ihrer schon auf dem Kirchwege so freundlich angenommen 
hatte, und sie reichte ihm mit einer Wärme und Lebhaftigkeit 
beide Hände zum Danke dar, daß die Mutter und vielleicht 
auch die beiden anderen Frauen darüber höchlichst erstaunt 
waren, wenn man sich auch nichts weiter dabei merken ließ. 
So hatte Frau Augustin das Mädchen seit mehreren Jahren 
nicht gesehen. 
Unsere Nerven stehen, wie alle organische und unorga 
nische Wesen dieses Erdballes, unter dem Einflüsse der allge- 
mein-cosmischen Elektricität, die aber aus den verschiedenen 
Individuen und Gegenständen in verschiedenartiger, bald po 
sitiv, bald negativ genannter Eigenschaft sich kundgiebt. Nun 
ist es ein jetzt allbekanntes Gesetz, daß die unter dem Ein 
flüsse verschiedenartiger Elektricität stehenden und einander 
nahegebrachten Gegenstände sich anziehen, während gleichartig 
berührte sich abstoßen. Sollte sich der Grund der menschlichen 
Zuneigungen zu einander nicht meistens auf dasselbe physika 
lische Gesetz zurückführen lassen? 
Der unsichtbare Strom, der — mehr oder weniger an 
erkannt von den Naturforschern — in ununterbrochenem oder 
ununterbrochen sein sollenden Zusammenhange den menschlichen 
Organismus, und zwar auf seinen Nervenfäden, wie der tele 
graphische Funke auf den Drähten des Telegraphennetzes, 
durchzieht und das, was wir Leben und Gesundheit nennen, 
anfacht und unterhält — ist er wohl etwas Anderes, als ein 
Theil jener allgemeinen, das Weltall durchflutenden Elektri 
cität, die aber, zusammenkommend im animalen Organismus 
mit dem anderen primitiv-geistigen Etwas, das wir Seele 
und im höheren Grade — beim Menschen — Gei st nennen, 
je nach der verschiedenartigen geistigen Individualität auch 
verschiedenartig sich gestalten muß, wie das Wesen der durch 
Reibung einer Glasfläche entstandenen und auf irgend welchen 
Gegenstand übertragenen Elektricität an diesem sich ganz an 
ders äußert, als die durch Reibung z. B. eines Siegellack's oder 
eines Harzes uns wahrnehmbar gewordene Elektricität? 
Ist der sogenannte magnetische Einfluß einer Person auf 
die andere wohl etwas Anderes, als die Folge des Bedürf 
nisses der Ausgleichung zwischen zwei einander nahegebrachten 
Wesenheiten verschiedener Elektricitätsform? 
Und ist nicht vielleicht der eigendste Grund der wahren 
Zuneigung, welche zwischen Mann und Weib, ganz abgesehen 
von der geschlechtlichen Verschiedenheit, besteht, aber auch der 
Grund der Freundschaft, überhaupt in diesem Electricitätsge- 
setz zu suchen und zu finden?
	        
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