Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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den können und dann ein nicht verwendeter, oft bedeutender 
Ueberschuß bleibt, der nun die Beschwerden: Ausstößen, Sod 
brennen re verursacht. Besonders führen solche Kranke über 
das schlechte Bekommen der Milch Klage, deren ganze Consti 
tution zu Säurebildung und Stuhlunregelmäßigkeiten dispo- 
nirt, z. B. Gichtische, Scrofulöse, Pflegmatische, Leberkranke. 
Wollte man bei diesen schnell und geradezu behaupten, die 
Milch passe für sie nicht, so wäre das ein großer Fehler. 
Man gewöhne nur den Magen erst daran, resp. entwöhne ihn 
von der zu reizenden Nahrung, die er täglich verarbeiten 
mußte. Daher darf man bei Milchkuren ebenso wenig, wie 
bei anderen Kuren, mit der Thüre in's Haus fallen, sondern 
muß mäßig und allmälig vorgehen. Der größte Fehler dabei 
ist, die Milch gleich Morgens nüchtern genießen zu lassen. 
Dies ist der beste Weg, um sie dem Magen sogleich zu ver 
leiden. Man fange lieber an, den Kaffee damit zu verdün 
nen, ihm immer mehr Milch zuzusetzen und etwas Semmel 
oder Brot dazu genießen zu lassen. Bei nicht an Kaffee Ge 
wöhnten verdünnt man Anfangs die Milch stark mit Wasser, 
Anfangs warmem, später kalten. Allmälig setzt man immer 
mehr Milch zu, bis diese endlich rein genossen werden und 
mit etwas Brot das Frühstück abgeben kann. 
Es ist ganz gleichgültig, ob die Milch warm oder kalt, 
unmittelbar von der Kuh oder abgekocht 2 * 4 * ) genossen werde. 
Hierbei kann man sich nach dem Geschmacke der Patienten 
richten. Am Morgen und überhaupt in der kälteren Jahres 
zeit sagt sie den Meisten warm am besten zu. Auch ist zu 
versuchen, ob die fette oder abgerahmte Anfangs besser be 
kommt. Des Vormittags, zum 2ten Frühstück, wird die näm 
liche Portion Milch getrunken, Anfangs ebenfalls wieder mit 
ein wenig Brot, was überhaupt zur Sättigung des Magens 
nothwendig ist. Mittags erfolgt einfache Kost, bestehend aus 
Fleisch mit leichtem Gemüse, leichten Eierspeisen und derglei- 
2) Dieser Ansicht können wir nicht so unbedingt beistimmen 
Ebenso wie das Ei schwerer verdaulich durch Kochen wird, ebenso ist 
es Bet der Milch Das Kasein der Milch (Käsestoff) scheidet sich be 
kanntlich durch Laab weit schneller und energischer in gekochter Milch, 
als in roher, bildet aber auch dann eine physikalisch weit eonsistentere 
Masse, als der aus frischer Milch abgeschiedene Käsestoff. Die Wirth 
schaftsmänner wissen dies aus ihrer Käse- und Butterbereitung ebenso 
gut, als die aufmerksamen Mütter, denen der Nähresiect der leichter- 
verdaulichen frischen Milch vor dem der gekochten gar wohl bekannt 
ist. Wir würden daher das Abkochen der Milch nur für die erste Zeit, 
wo Jemand noch nicht an diese Kost gewöhnt ist, gerechtfertigt ansehen, 
nm in der Wärme und Festigkeit des gekochten Käsestofses passende 
Uebergänge für den bisher der größeren Reize gewöhnten Magen zn 
besitzen.' Aber dann müßte das Kochen nach und nach in bloßes Wär 
men und so in die Naturform, die die Milch beim Austritt aus dem 
Euter hat, übergehen, bis sie auch kühl und kalt vertragen wird. Die 
Verdünnung mir Wasser halten wir dies'alls nicht nur für nicht nö 
thig, sondern für zweckwidrig. 
Wenn wir uns nun auch im Allgemeinen gegen den Genuß 
abgekochter Milch aussprechen, so erkennen wir. doch vollständig an, 
daß die Wärme (welche indeß die unseres Blutes, also ca. 29" R., 
niemals übersteigen soll).für viele Individuen nothwendige Beigabe 
des Milchgenusses ist, und zwar entweder nur anfänglich, oder auch 
für immer, wie es namentlich bei Lungenkranken der Fall. Diesen 
letzteren Kranken, wie überhaupt allen schwächlichen Individualitäten 
gegenüber, ist aber dann gewiß die beste Wärme die, welche die Milch 
aus dem Euter mitbringt; giebt es irgendwo und wie eine gestattbare 
und nützliche Transfusion ^Blutübertragung), so ist es die bei Ge 
legenheit des Genusses der unmittelbar aus dem Enter entnommenen 
Milch; es ist dies freilich keine wahre Transfusion, aber eine 
Uebertragung der aus dem Blute von anderen Animalien überhaupt 
allein für einen zweiten Organismus passenden Bestandtheile: der 
Wärme und Elektricität. Es sollte viel mehr, als es geschieht bei Be 
handlung anämischer Patienten auf die Ueberführung von Wärme- 
und Elektricitäts-Ueberschüssen anderer Organismen auf sie Bedacht ge- 
chen, vielleicht auch etwas Weiu^), zum Vesperbrot kommt 
die 3te Portion Milch, ebenso zum Abendbrot, wenn hier 
nicht in besonderen Fällen eine Michsuppe vorgezogen wird. 
Im Sommer kann Abends oder Nachmittags auch die saure 
Milch zur Abwechselung genossen werden, ebenso die Butter 
milch, welche besonders zur Stuhlförderung geeignet ist^); 
denn für gehörige tägliche Leibesöffnung muß Sorge getragen 
und dieselbe nöthigenfalls durch Lavements herbeigeführt wer 
den. Kleine Quantitäten Salz, auch Zucker, zur Milch kön 
nen unter Umständen als Beihülfs- und Reizmittel für den 
Magen wünschenswert sein°). Nach jedesmaligem Genusse 
einer Portion Milch muß sich der Kranke, wie bei Brunnen 
kuren, mäßige Bewegung machen. 
Das täglich zu trinkende Quantum der Milch richtet sich 
nach der Constitution des Kranken, der damit nicht zu sehr 
überführt werden darf. Man beginne mit einem kleinen 
Glase (einer Tasse) für jede Portion und steige allmälig zu 
2, 3, 4 Tassen oder denen entsprechenden Gläsern. Der 
Kranke darf nie den Magen davon überfüllt fühlen. 
Sobald sich die leisesten Beschwerden des Magens ein 
stellen , geht man im Quantum etwas zurück, befördert die 
Leibesöffnung durch Lavements, läßt etwas guten, kräftigen 
Weines löffelweise nehmen 6 ) und sucht auch auf die Aus 
dünstung der Haut durch Abreibungen, Einschlagen in wollene 
Decken, nächtliches Tragen des Leibumschlages und einer trockenen, 
wollenen Leibbinde am Tage, sowie auf gute Wämne der Füße zu 
nommen werden, und daher namentlich auch — weil dies eins der 
bequemsten und appetitlichsten Mittel hierzu ist — auf den Genuß der 
noch euterwarmen Milch größerer Werth gelegt werden. Die Red. 
b) Diesfalls liegt dann aber keine eigentliche Milchkur mehr 
vor; soll eS diese sein, so darf auch zu Mittag nur Milchspeise genos 
sen werden, und es würde höchstens gestattet sein, der Abwechselung 
wegen dem verwöhnten Magen sie in verschiedenen Formen zuzufüh 
ren, obwohl es, namentlich un Sommer, Jeder auch Mittags bei einer 
Semmel-Milch, oder Milch mit Brot, resp Butter, recht gut aushal 
ten kann und wird, wenn er einmal zum Milchgenuß übergeführt ist 
und befähigt erscheint Die Red. 
4) Von der saueren Milch und selbst von der Buttermilch, wenn 
sie nämlich aus dem Buttern von sauerem Rahm übrig geblieben ist, 
gilt dasselbe, was von der gekochten Milch: sie kann höchstens in der 
ersten Zeit, wo Jemand ansängt, sich an den Milchgenutz zu gewöh 
nen, gebilligt und also nur als ein zeitweilig zulässiges Ueberführungs- 
mittel angesehen werden. Außerdem ist dem Verlangen des chronisch 
Kranken darnach nur mit Vorsicht und nur nach wiederholten Verwei 
gerungen nachzugeben Denn der Instinkt des chronisch Kranken ist 
in der Regel ein getrübter und muß als solcher so lauge angenommen 
werden, als nicht Proben das Gegentheil, das wirkliche Naturbedürf 
niß, herausgestellt haben. — Wenn aber, wie es hie und da in Natnr- 
heilanstalten geschieht, der Genuß saurer Milch als Kurregel hingestellt 
und aiso gewissermaßen dem Patienten moralisch aufgenöthigt, und 
empfohlen wird, so ist dies ein rein medicarnentöses Verfahren, was 
auch keinen anderen Effect, als jede andere arzneiliche Einwirkung ha 
ben kann, nämlich den der höheren Reizung der Verdauorgane, also 
momentan höhere Thätigkeit der Schleimhäute und Drüsen. Dabei 
kommt nun freilich für einige Zeit eine ableitende und größere aus 
scheidende Wirkung zu Stande, und bei vollsäftigen, mcht nerven 
schwachen Personen mag dies zeitweilig ganz gut ablaufen können. 
Aber bei schwächlichen, durch längeres Kranksein in ihrer Nervenkrast 
mehr oder weniger schon herabgekommenen Individualitäten kann ein 
solcher erhöhter Reiz, der auf die Verdauorgaue ausgeübt wird, nur 
eine nachherige desto größere Erschlaffung zur Folge haben, und die 
momentanen Erleichterungen erweisen sich als schwer und theuer 
erkauft jDie Red. 
b) Auch mit diesem Satze können wir uns nur bedingt einver 
standen erklären, so lange näm ich und sobald es der Ueberführung zur 
Milch-Diät für einen bisher verwöhnten Magen gilt. Die Red. 
6) resp. häufiger kleinere Quantitäten frischen Wassers 
trinken. Die Red.
	        
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