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den können und dann ein nicht verwendeter, oft bedeutender
Ueberschuß bleibt, der nun die Beschwerden: Ausstößen, Sod
brennen re verursacht. Besonders führen solche Kranke über
das schlechte Bekommen der Milch Klage, deren ganze Consti
tution zu Säurebildung und Stuhlunregelmäßigkeiten dispo-
nirt, z. B. Gichtische, Scrofulöse, Pflegmatische, Leberkranke.
Wollte man bei diesen schnell und geradezu behaupten, die
Milch passe für sie nicht, so wäre das ein großer Fehler.
Man gewöhne nur den Magen erst daran, resp. entwöhne ihn
von der zu reizenden Nahrung, die er täglich verarbeiten
mußte. Daher darf man bei Milchkuren ebenso wenig, wie
bei anderen Kuren, mit der Thüre in's Haus fallen, sondern
muß mäßig und allmälig vorgehen. Der größte Fehler dabei
ist, die Milch gleich Morgens nüchtern genießen zu lassen.
Dies ist der beste Weg, um sie dem Magen sogleich zu ver
leiden. Man fange lieber an, den Kaffee damit zu verdün
nen, ihm immer mehr Milch zuzusetzen und etwas Semmel
oder Brot dazu genießen zu lassen. Bei nicht an Kaffee Ge
wöhnten verdünnt man Anfangs die Milch stark mit Wasser,
Anfangs warmem, später kalten. Allmälig setzt man immer
mehr Milch zu, bis diese endlich rein genossen werden und
mit etwas Brot das Frühstück abgeben kann.
Es ist ganz gleichgültig, ob die Milch warm oder kalt,
unmittelbar von der Kuh oder abgekocht 2 * 4 * ) genossen werde.
Hierbei kann man sich nach dem Geschmacke der Patienten
richten. Am Morgen und überhaupt in der kälteren Jahres
zeit sagt sie den Meisten warm am besten zu. Auch ist zu
versuchen, ob die fette oder abgerahmte Anfangs besser be
kommt. Des Vormittags, zum 2ten Frühstück, wird die näm
liche Portion Milch getrunken, Anfangs ebenfalls wieder mit
ein wenig Brot, was überhaupt zur Sättigung des Magens
nothwendig ist. Mittags erfolgt einfache Kost, bestehend aus
Fleisch mit leichtem Gemüse, leichten Eierspeisen und derglei-
2) Dieser Ansicht können wir nicht so unbedingt beistimmen
Ebenso wie das Ei schwerer verdaulich durch Kochen wird, ebenso ist
es Bet der Milch Das Kasein der Milch (Käsestoff) scheidet sich be
kanntlich durch Laab weit schneller und energischer in gekochter Milch,
als in roher, bildet aber auch dann eine physikalisch weit eonsistentere
Masse, als der aus frischer Milch abgeschiedene Käsestoff. Die Wirth
schaftsmänner wissen dies aus ihrer Käse- und Butterbereitung ebenso
gut, als die aufmerksamen Mütter, denen der Nähresiect der leichter-
verdaulichen frischen Milch vor dem der gekochten gar wohl bekannt
ist. Wir würden daher das Abkochen der Milch nur für die erste Zeit,
wo Jemand noch nicht an diese Kost gewöhnt ist, gerechtfertigt ansehen,
nm in der Wärme und Festigkeit des gekochten Käsestofses passende
Uebergänge für den bisher der größeren Reize gewöhnten Magen zn
besitzen.' Aber dann müßte das Kochen nach und nach in bloßes Wär
men und so in die Naturform, die die Milch beim Austritt aus dem
Euter hat, übergehen, bis sie auch kühl und kalt vertragen wird. Die
Verdünnung mir Wasser halten wir dies'alls nicht nur für nicht nö
thig, sondern für zweckwidrig.
Wenn wir uns nun auch im Allgemeinen gegen den Genuß
abgekochter Milch aussprechen, so erkennen wir. doch vollständig an,
daß die Wärme (welche indeß die unseres Blutes, also ca. 29" R.,
niemals übersteigen soll).für viele Individuen nothwendige Beigabe
des Milchgenusses ist, und zwar entweder nur anfänglich, oder auch
für immer, wie es namentlich bei Lungenkranken der Fall. Diesen
letzteren Kranken, wie überhaupt allen schwächlichen Individualitäten
gegenüber, ist aber dann gewiß die beste Wärme die, welche die Milch
aus dem Euter mitbringt; giebt es irgendwo und wie eine gestattbare
und nützliche Transfusion ^Blutübertragung), so ist es die bei Ge
legenheit des Genusses der unmittelbar aus dem Enter entnommenen
Milch; es ist dies freilich keine wahre Transfusion, aber eine
Uebertragung der aus dem Blute von anderen Animalien überhaupt
allein für einen zweiten Organismus passenden Bestandtheile: der
Wärme und Elektricität. Es sollte viel mehr, als es geschieht bei Be
handlung anämischer Patienten auf die Ueberführung von Wärme-
und Elektricitäts-Ueberschüssen anderer Organismen auf sie Bedacht ge-
chen, vielleicht auch etwas Weiu^), zum Vesperbrot kommt
die 3te Portion Milch, ebenso zum Abendbrot, wenn hier
nicht in besonderen Fällen eine Michsuppe vorgezogen wird.
Im Sommer kann Abends oder Nachmittags auch die saure
Milch zur Abwechselung genossen werden, ebenso die Butter
milch, welche besonders zur Stuhlförderung geeignet ist^);
denn für gehörige tägliche Leibesöffnung muß Sorge getragen
und dieselbe nöthigenfalls durch Lavements herbeigeführt wer
den. Kleine Quantitäten Salz, auch Zucker, zur Milch kön
nen unter Umständen als Beihülfs- und Reizmittel für den
Magen wünschenswert sein°). Nach jedesmaligem Genusse
einer Portion Milch muß sich der Kranke, wie bei Brunnen
kuren, mäßige Bewegung machen.
Das täglich zu trinkende Quantum der Milch richtet sich
nach der Constitution des Kranken, der damit nicht zu sehr
überführt werden darf. Man beginne mit einem kleinen
Glase (einer Tasse) für jede Portion und steige allmälig zu
2, 3, 4 Tassen oder denen entsprechenden Gläsern. Der
Kranke darf nie den Magen davon überfüllt fühlen.
Sobald sich die leisesten Beschwerden des Magens ein
stellen , geht man im Quantum etwas zurück, befördert die
Leibesöffnung durch Lavements, läßt etwas guten, kräftigen
Weines löffelweise nehmen 6 ) und sucht auch auf die Aus
dünstung der Haut durch Abreibungen, Einschlagen in wollene
Decken, nächtliches Tragen des Leibumschlages und einer trockenen,
wollenen Leibbinde am Tage, sowie auf gute Wämne der Füße zu
nommen werden, und daher namentlich auch — weil dies eins der
bequemsten und appetitlichsten Mittel hierzu ist — auf den Genuß der
noch euterwarmen Milch größerer Werth gelegt werden. Die Red.
b) Diesfalls liegt dann aber keine eigentliche Milchkur mehr
vor; soll eS diese sein, so darf auch zu Mittag nur Milchspeise genos
sen werden, und es würde höchstens gestattet sein, der Abwechselung
wegen dem verwöhnten Magen sie in verschiedenen Formen zuzufüh
ren, obwohl es, namentlich un Sommer, Jeder auch Mittags bei einer
Semmel-Milch, oder Milch mit Brot, resp Butter, recht gut aushal
ten kann und wird, wenn er einmal zum Milchgenuß übergeführt ist
und befähigt erscheint Die Red.
4) Von der saueren Milch und selbst von der Buttermilch, wenn
sie nämlich aus dem Buttern von sauerem Rahm übrig geblieben ist,
gilt dasselbe, was von der gekochten Milch: sie kann höchstens in der
ersten Zeit, wo Jemand ansängt, sich an den Milchgenutz zu gewöh
nen, gebilligt und also nur als ein zeitweilig zulässiges Ueberführungs-
mittel angesehen werden. Außerdem ist dem Verlangen des chronisch
Kranken darnach nur mit Vorsicht und nur nach wiederholten Verwei
gerungen nachzugeben Denn der Instinkt des chronisch Kranken ist
in der Regel ein getrübter und muß als solcher so lauge angenommen
werden, als nicht Proben das Gegentheil, das wirkliche Naturbedürf
niß, herausgestellt haben. — Wenn aber, wie es hie und da in Natnr-
heilanstalten geschieht, der Genuß saurer Milch als Kurregel hingestellt
und aiso gewissermaßen dem Patienten moralisch aufgenöthigt, und
empfohlen wird, so ist dies ein rein medicarnentöses Verfahren, was
auch keinen anderen Effect, als jede andere arzneiliche Einwirkung ha
ben kann, nämlich den der höheren Reizung der Verdauorgane, also
momentan höhere Thätigkeit der Schleimhäute und Drüsen. Dabei
kommt nun freilich für einige Zeit eine ableitende und größere aus
scheidende Wirkung zu Stande, und bei vollsäftigen, mcht nerven
schwachen Personen mag dies zeitweilig ganz gut ablaufen können.
Aber bei schwächlichen, durch längeres Kranksein in ihrer Nervenkrast
mehr oder weniger schon herabgekommenen Individualitäten kann ein
solcher erhöhter Reiz, der auf die Verdauorgaue ausgeübt wird, nur
eine nachherige desto größere Erschlaffung zur Folge haben, und die
momentanen Erleichterungen erweisen sich als schwer und theuer
erkauft jDie Red.
b) Auch mit diesem Satze können wir uns nur bedingt einver
standen erklären, so lange näm ich und sobald es der Ueberführung zur
Milch-Diät für einen bisher verwöhnten Magen gilt. Die Red.
6) resp. häufiger kleinere Quantitäten frischen Wassers
trinken. Die Red.