Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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Händen, die ich schon auf dem letzten Wegestücke vor der 
Kirche zu beachten Gelegenheit hatte, und nach dem geringen 
Tonus und Turgor-Zustande in der Haut (wir ver 
stehen darunter die Elasticität und die Fähigkeit der 
Aus-, wie Einhauchung derselben) zu schließen, den ich 
vorhin bei der Entkleidung wahrnehmen konnte, ist die 
selbe in ihrem centrifugalen Körperleben (d. h. in der 
von der Natur gewollten Strahlung des Nervenfluidums, 
von den Nervencentren in Kopf, Rückgrat und Unter 
leib aus, und in der ebenmäßigen Blutströmung von den in 
neren großen Gefäßen nach der Peripherie des Körpers) noch 
nicht so entwickelt, als es sein könnte, sollte und müßte, wenn 
Fräulein Bertha sich einer vollständigen Gesundheit erfreuen 
wollte. Sie ist, wie die Aerzte es größten Theils noch nen 
nen, chlorotisch und anämisch zugleich, dH. es fehlt ihr 
an der gehörigen Blutmischung und Blut fülle. Aber 
diese Begriffe sind sehr relativ und individuell. Ich gehöre 
zu den Aerzten, welche annehmen, daß der sogen, ^bleich 
süchtige Zustand" seine eigentliche Quelle viel weniger im 
Blute, als in mangelhaften Eigenschaften der äußeren, wie 
inneren Haut des Menschen hat. Unsere Haut hat, wie 
Ihnen gewiß bekannt sein wird, eine doppelte Aufgabe, einmal 
die der Ausscheidung verbrauchter Körperbestandtheile selbst, 
das andere Mal die der Einhauchung sauerstoffhaltiger, 
zur Unterhaltung des Verbrennungsprocesses in unserem Blute 
geeigneter Luft. Wenn nun aber die nervöse Kraft, also 
Straffheit, -welche hierzu gehört, nicht in der Haut vorhanden 
ist, so bleiben die abgängigen Körpertheilchen, die sogen. Mau- 
serungsproducte, theils unverbrannt, theils überhaupt und 
zwar in größerer Menge, als es gut ist und sein soll, im 
Körper und müssen nun eher oder später nicht blos den gan 
zen Blutstrom mehr und mehr anfüllen, sondern auch bei ihrer 
Passage durch die verschiedensten Körperorgane, namentlich 
durch die sogen. Drüsen hindurch, welche die eigentlichen Le 
benssaftbereiter in uns sind, störend auf deren Thätigkeit ein 
wirken und sonach allerdings zur Ursache einer mangelhaften 
Blutbereitung auch Seiten dieser Organe selbst werden. Sie 
ersehen daher, daß die Beschaffenheit des Blutes bei sogenann 
ten Anämischen, Chlorotischen — Bleichsüchtigen — eine Sache 
secundärer Art ist und daß, wenn dem so ist, die Einwir 
kung auf das Blut mit reinigenden und ergänzenden Sub 
stanzen, also mit Kräuter- und Mineral-, besonders Eisen 
kuren, nur höchstens einen vorübergehenden, zwingenden Er 
folg haben, häufig aber das Uebel nachträglich nur noch 
schlimmer machen und schwerlich je heben kann. 
Augustin. Ei das wäre! Habe an das Mädchen da 
wohl 13 bis 1400 Thaler zu Badereisen und Kuren in Mi 
neral- und gerade eisenhaltige Bäder verwenden müssen, 
und das sollte Alles umsonst gewesen sein? 
Fremder. Nun, ich sage Ihnen ja, meine Ansicht ist 
keineswegs schon die der Mehrheit der Aerzte, sondern nur 
erst eines verhältnißmäßig kleinen Häufleins derselben. 
Augustin. Und Ihre Ansicht für Behandlung meines 
Kindes geht also wohin? 
Fremder. Der äußeren, wie inneren Haut mehr, als 
wahrscheinlich bisher geschehen, Sorgfalt zuzuwenden. 
Augustin Auch der inneren — wie kann man 
denn das? r 
Fremder. Die Entstehung der „Bleichsucht" — 
also nach meiner Anschauung jene Verschlechterung des Haut- 
shstems — fällt meistentheils in die früheste Lebensperiode des 
Kindes, wo durch warme Bäder die äußere Haut schon ge 
schwächt, dagegen die innere, besonders von der Entwöhnung 
an, durch zuckerhaltige und heiße Breie oder dergleichen vor 
wiegend gereizt, zum Theil auch schon in ihrem Nerven- und 
Drüsensysteme gelähmt wird Aeußerlich fährt man dann 
fort, mit Federbetten und dicken, warmen Kleidern, auch immer 
noch mit warmen, ja heißen Bädern, denen nun bereits zur 
„angeblichen Kräftigung" aromatische Stoffe, namentlich gern 
gewisse Kräuter und Malz, aber auch Seesalz und andere, 
die ohnedies schwachen Nerven noch mehr reizende Materialien 
zugesetzt werden, das „schwächliche Kind" zu „unterstützen". 
Innerlich wird aber mit „kräftiger" Kost, zuerst mit 
Arrowrout, Salep und ähnlichen, sehr nahrhaften Substan 
zen vegetabilischer Art, bald aber auch mit Fleischbrühen, 
Austern, geschabtem Fleische und überhaupt Fleischkost, mit 
Kakao und Chocolade nachgeholfen. 
Augustin. Ja, ja, habe auch nichts gescheut und im 
mer eine gute Küche führen lassen; namentlich die Bertha hat 
cannibalisch viel Fleisch aus Anordnung meiner Hausärzte zu 
sich genommen — 
Fremder. Und hat doch nichts geholfen! 
Augustin. Nun, erst war das Kind dabei blühend, 
wie eins nur sein kann; aber freilich vom IZten oder 13ten 
Jahre ihres Alters an ging's schnell bergunter; seit der Zeit 
— 's sind nun wohl fast 6 Jahre — laborirt sie fort 
während. 
Fremder. Das ist sehr oft der Fall, baß die von 
Haus aus gute Natur eines Kindes jahrelang der unzweck 
mäßigsten Behandlung widersteht; aber der erste kritische Zeit 
punkt für solche, in den Verhältnissen der inneren Haut — 
den Schleimhäuten — überreizte, und hinsichtlich ihrer 
äußeren Haut vernachlässigte und geschwächte Kinder, 
namentlich Mädchen, ist der der herannahenden Entwicke 
lung/ also der Periode der Körperausbildung, wo das dem 
weiblichen Körper vor dem männlichen eigene und sehr wich 
tige Ausscheidungsorgan, die zu den weiblichen Geschlechtsor 
ganen gehörige sogen. Gebärmutter, anfängt in Activität 
zu treten, d. h., wo ein ziemlich regelmäßig jeden Monat 
(manchmal aber auch öfter, manchmal seltener- wiederkehren 
der Bluterguß aus Venen der Gebärmutterschleimhaut eintritt 
und also, weil Venenblut stets das unreinere oder nahrungs 
unfähigere Blut im Körper ausmacht, gewissermaßen eine Rei 
nigung des Körpers und Erleichterung desselben darstellt. 
Augustin (etwas leiser sprechend). Aber ich denke, 
dieser weibliche Monatsfluß vertritt allemal einen unvollstän 
digen Gebäract, und die Mutter Natur will damit das Weib 
immer seiner (künftigen) Bestimmung eingedenk erhalten? 
Fremder. Das ist wohl richfig, und wünschcnswerth 
wäre gar sehr, daß diese Function des weiblichen Körpers 
allgemein, auch schon bei den jungen, entwickelten Mädchen, 
so aufgefaßt würde und bekannt wäre! Dann würden wir 
weiblichere, d. h. vernünftigere, die Bestimmung des Wei 
bes mehr berücksichtigende Erziehung und Lebensweise vorfin 
den. Aber wo giebt es denn jetzt eine Mutter, oder Erziehe 
rin, oder selbst Hausarzt, die die Kenntnisse hätten, oder 
welche, wenn sie sie haben, ein ganz am unrechten Orte vor 
handenes Schaamgefühl zu überwinden wüßten und auch (na 
mentlich was die Aerzte betrifft), sich die Zeit dazu nähmen, 
die jungen Mädchen ernstlich von Kindauf für ihre spätere 
Mutterpflicht heranzubilden, zu belehren. 
Augustin. Ja, ja! Heirathet ein Mädchen, so wird 
sie wohl damit nach und nach über ihren geschlechtlichen Be 
ruf aufgeklärt — aber ich gebe Ihnen recht, 's ist da bei
	        
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