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Händen, die ich schon auf dem letzten Wegestücke vor der
Kirche zu beachten Gelegenheit hatte, und nach dem geringen
Tonus und Turgor-Zustande in der Haut (wir ver
stehen darunter die Elasticität und die Fähigkeit der
Aus-, wie Einhauchung derselben) zu schließen, den ich
vorhin bei der Entkleidung wahrnehmen konnte, ist die
selbe in ihrem centrifugalen Körperleben (d. h. in der
von der Natur gewollten Strahlung des Nervenfluidums,
von den Nervencentren in Kopf, Rückgrat und Unter
leib aus, und in der ebenmäßigen Blutströmung von den in
neren großen Gefäßen nach der Peripherie des Körpers) noch
nicht so entwickelt, als es sein könnte, sollte und müßte, wenn
Fräulein Bertha sich einer vollständigen Gesundheit erfreuen
wollte. Sie ist, wie die Aerzte es größten Theils noch nen
nen, chlorotisch und anämisch zugleich, dH. es fehlt ihr
an der gehörigen Blutmischung und Blut fülle. Aber
diese Begriffe sind sehr relativ und individuell. Ich gehöre
zu den Aerzten, welche annehmen, daß der sogen, ^bleich
süchtige Zustand" seine eigentliche Quelle viel weniger im
Blute, als in mangelhaften Eigenschaften der äußeren, wie
inneren Haut des Menschen hat. Unsere Haut hat, wie
Ihnen gewiß bekannt sein wird, eine doppelte Aufgabe, einmal
die der Ausscheidung verbrauchter Körperbestandtheile selbst,
das andere Mal die der Einhauchung sauerstoffhaltiger,
zur Unterhaltung des Verbrennungsprocesses in unserem Blute
geeigneter Luft. Wenn nun aber die nervöse Kraft, also
Straffheit, -welche hierzu gehört, nicht in der Haut vorhanden
ist, so bleiben die abgängigen Körpertheilchen, die sogen. Mau-
serungsproducte, theils unverbrannt, theils überhaupt und
zwar in größerer Menge, als es gut ist und sein soll, im
Körper und müssen nun eher oder später nicht blos den gan
zen Blutstrom mehr und mehr anfüllen, sondern auch bei ihrer
Passage durch die verschiedensten Körperorgane, namentlich
durch die sogen. Drüsen hindurch, welche die eigentlichen Le
benssaftbereiter in uns sind, störend auf deren Thätigkeit ein
wirken und sonach allerdings zur Ursache einer mangelhaften
Blutbereitung auch Seiten dieser Organe selbst werden. Sie
ersehen daher, daß die Beschaffenheit des Blutes bei sogenann
ten Anämischen, Chlorotischen — Bleichsüchtigen — eine Sache
secundärer Art ist und daß, wenn dem so ist, die Einwir
kung auf das Blut mit reinigenden und ergänzenden Sub
stanzen, also mit Kräuter- und Mineral-, besonders Eisen
kuren, nur höchstens einen vorübergehenden, zwingenden Er
folg haben, häufig aber das Uebel nachträglich nur noch
schlimmer machen und schwerlich je heben kann.
Augustin. Ei das wäre! Habe an das Mädchen da
wohl 13 bis 1400 Thaler zu Badereisen und Kuren in Mi
neral- und gerade eisenhaltige Bäder verwenden müssen,
und das sollte Alles umsonst gewesen sein?
Fremder. Nun, ich sage Ihnen ja, meine Ansicht ist
keineswegs schon die der Mehrheit der Aerzte, sondern nur
erst eines verhältnißmäßig kleinen Häufleins derselben.
Augustin. Und Ihre Ansicht für Behandlung meines
Kindes geht also wohin?
Fremder. Der äußeren, wie inneren Haut mehr, als
wahrscheinlich bisher geschehen, Sorgfalt zuzuwenden.
Augustin Auch der inneren — wie kann man
denn das? r
Fremder. Die Entstehung der „Bleichsucht" —
also nach meiner Anschauung jene Verschlechterung des Haut-
shstems — fällt meistentheils in die früheste Lebensperiode des
Kindes, wo durch warme Bäder die äußere Haut schon ge
schwächt, dagegen die innere, besonders von der Entwöhnung
an, durch zuckerhaltige und heiße Breie oder dergleichen vor
wiegend gereizt, zum Theil auch schon in ihrem Nerven- und
Drüsensysteme gelähmt wird Aeußerlich fährt man dann
fort, mit Federbetten und dicken, warmen Kleidern, auch immer
noch mit warmen, ja heißen Bädern, denen nun bereits zur
„angeblichen Kräftigung" aromatische Stoffe, namentlich gern
gewisse Kräuter und Malz, aber auch Seesalz und andere,
die ohnedies schwachen Nerven noch mehr reizende Materialien
zugesetzt werden, das „schwächliche Kind" zu „unterstützen".
Innerlich wird aber mit „kräftiger" Kost, zuerst mit
Arrowrout, Salep und ähnlichen, sehr nahrhaften Substan
zen vegetabilischer Art, bald aber auch mit Fleischbrühen,
Austern, geschabtem Fleische und überhaupt Fleischkost, mit
Kakao und Chocolade nachgeholfen.
Augustin. Ja, ja, habe auch nichts gescheut und im
mer eine gute Küche führen lassen; namentlich die Bertha hat
cannibalisch viel Fleisch aus Anordnung meiner Hausärzte zu
sich genommen —
Fremder. Und hat doch nichts geholfen!
Augustin. Nun, erst war das Kind dabei blühend,
wie eins nur sein kann; aber freilich vom IZten oder 13ten
Jahre ihres Alters an ging's schnell bergunter; seit der Zeit
— 's sind nun wohl fast 6 Jahre — laborirt sie fort
während.
Fremder. Das ist sehr oft der Fall, baß die von
Haus aus gute Natur eines Kindes jahrelang der unzweck
mäßigsten Behandlung widersteht; aber der erste kritische Zeit
punkt für solche, in den Verhältnissen der inneren Haut —
den Schleimhäuten — überreizte, und hinsichtlich ihrer
äußeren Haut vernachlässigte und geschwächte Kinder,
namentlich Mädchen, ist der der herannahenden Entwicke
lung/ also der Periode der Körperausbildung, wo das dem
weiblichen Körper vor dem männlichen eigene und sehr wich
tige Ausscheidungsorgan, die zu den weiblichen Geschlechtsor
ganen gehörige sogen. Gebärmutter, anfängt in Activität
zu treten, d. h., wo ein ziemlich regelmäßig jeden Monat
(manchmal aber auch öfter, manchmal seltener- wiederkehren
der Bluterguß aus Venen der Gebärmutterschleimhaut eintritt
und also, weil Venenblut stets das unreinere oder nahrungs
unfähigere Blut im Körper ausmacht, gewissermaßen eine Rei
nigung des Körpers und Erleichterung desselben darstellt.
Augustin (etwas leiser sprechend). Aber ich denke,
dieser weibliche Monatsfluß vertritt allemal einen unvollstän
digen Gebäract, und die Mutter Natur will damit das Weib
immer seiner (künftigen) Bestimmung eingedenk erhalten?
Fremder. Das ist wohl richfig, und wünschcnswerth
wäre gar sehr, daß diese Function des weiblichen Körpers
allgemein, auch schon bei den jungen, entwickelten Mädchen,
so aufgefaßt würde und bekannt wäre! Dann würden wir
weiblichere, d. h. vernünftigere, die Bestimmung des Wei
bes mehr berücksichtigende Erziehung und Lebensweise vorfin
den. Aber wo giebt es denn jetzt eine Mutter, oder Erziehe
rin, oder selbst Hausarzt, die die Kenntnisse hätten, oder
welche, wenn sie sie haben, ein ganz am unrechten Orte vor
handenes Schaamgefühl zu überwinden wüßten und auch (na
mentlich was die Aerzte betrifft), sich die Zeit dazu nähmen,
die jungen Mädchen ernstlich von Kindauf für ihre spätere
Mutterpflicht heranzubilden, zu belehren.
Augustin. Ja, ja! Heirathet ein Mädchen, so wird
sie wohl damit nach und nach über ihren geschlechtlichen Be
ruf aufgeklärt — aber ich gebe Ihnen recht, 's ist da bei