Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

Dresden, 
den 17. Juni. 
Der Rawrarzt. -° 
Honespondenzblatt für Ireunde naturgemäßer Heilmethoden. 
Herausgegeben von vr. W. Me inert. 
(Dresden, Kaitzer Str. Nr. 5.) 
Der „Naturarzt" erscheint jedes Quartal mit 10 Nummern L i Bogen; Preis jährlich 2 Thlr. oder 4 Fl. W. W.; Abonnement pränume 
rando Vijahng, halb- oder ganzjährig. Er ist eine erweiterte Fortsetzung des vorjährigen „Wasserfreundes", von dem Exemplare L 2 Thlr. oder 
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Zur physiatrischen Wehandümg von Isiebern und 
Entzündungen. 
Krankencorrespondenz. 
Herr R. St. zu Kl. bei Br. an die Redaction. 
Als ich in den ersten 3 Nummern Ihres „Naturarztes" 
die Leidensgeschichte der Gutsbesitzersfamilie Neuborn gelesen, 
durchlief eiskalter Schauer all' meine Glieder, denn ganz 
Aehnliches hat sich auch in meiner Familie zugetragen, nur 
mit dem Unterschiede, daß die Geschichte meiner Familie einen 
noch viel traurigeren Ausgang genommen hat. 
Wollten Sie mir denn auch gestatten, Ihnen diese Be 
gebenheit hiemit vorzutragen, und auf Grund derselben mir 
Ihren naturärztlichen Rath für die Ueberlebenden zu erbitten: 
Bis zum 6. December 1861 war ich ein überglücklicher 
Familienvater, denn ein damals 8 jähriges Mädchen und 
zwei Knaben von 6, resp. 4 Jahren, somit 3 liebevolle, mun 
tere Kinder, — des Himmels schönstes Geschenk, — umspran 
gen mich voll Lebenslust, so oft ich nach mehrstündiger, durch 
meinen Berus bedingter Abwesenheit nach Hause zurückkehrte. 
In solchem Glücke hatte ich nicht die geringste Ahnung, daß 
ich an der Schwelle einer furchtbaren Katastrophe stehe. Am 
obigen Tage nun (den 6. December 1861) und zwar erst in 
den Abendstunden wurde der jüngere Knabe (Gustav) un 
wohl, indem sich Anfangs ein Erbrechen mit gleichzeitiger 
Diarrhoe (grünflüssiger Stuhl) und später ein sehr hitziges 
Fieber einstellte, welches letztere, bei oft wiederholtem Erbre 
chen und Stuhlgange, schließlich so vehement auftrat, daß der 
arme Kleine Tags darauf, den 7. December Nachmittags, 
also binnen weniger als 20 Stunden, schon eine — Leiche 
war. In diesem Augenblicke waren die anderen 2 Kinder 
noch vollkommen gesund; das Mädchen entwickelte des Nach 
mittags sogar eine so ungewöhnliche Munterkeit, daß solche 
mit der durch das Schmerzenslager des kleinen Gustav ge 
trübten allgemeinen Stimmung sehr contrastirte, weshalb das 
Mädchen öfters zur Ruhe ermahnt werden mußte, während 
der größere Knabe (Rudolph) aus freiem Antriebe am Kran 
kenbette seines kleineren Bruders «iederkniete und mit empor 
gehaltenen Händen ein „Vater unser" für dessen Genesung 
laut herunterlallte, was in dem ernsten Momente einen höchst 
rührenden Anblick gewährte. Da der zu dem kranken Knaben 
wiederholt herbeigerufene Arzt (nota bene ein Medicin-Doctor) 
keine gefährliche Krankheit constatirte, — obwohl er Anfangs 
einen Cholera-Anfall vermuthete, dann aber wieder von die 
ser Ansicht abließ und den Kleinen an der Gehirnhöhlenwas 
sersucht sterben ließ, — so ließ ich es ganz unbehindert ge 
schehen, daß die 2 gesunden Kinder ihren soeben verstorbenen 
kl. Bruder mitleidsvoll an Gesicht und Händen streichelten 
und, gleich uns Eltern, Mund und Lippen des Todten öfters 
küßten. Der Abend verging unter Jammer und Wehklagen 
der Mutter, daß Ein theueres Familienglied nunmehr uns 
für immer fehle, wornach sich die am Leben verbliebene Fa 
milie zur gewohnten Stunde und vollkommen gesund zur 
Nachtruhe begab. Doch nicht zur Ruhe, denn diese wohlthä 
tige Ruhe sollte aus unserer, dem Verhängnisse verfallenen 
Familie Wohl für immer verbannt werden. Mitten in der 
Nacht erwachen die beiden Kinder fast gleichzeitig aus dem 
Schlafe, erbrechen sich, verlangen schnell auf den Stuhl, kurz, 
sie geben durch ganz gleiche Symptome (derselbe grünflüssige 
Stuhl) zu erkennen, daß sie von derselben Krankheit befallen 
sind, welcher ihr kleiner Bruder vor wenigen Stunden erlegen 
war Der schnell wiedergeholte Arzt schüttelt bedenklich mit 
dem Kopfe, — ohne jedoch die Kinder irgendwie körperlich zu 
untersuchen, was er auch bei dem Verstorbenen zu thun nicht 
für nöthig fand, —frägt eindringlich, was sie genossen hät 
ten, da er nunmehr eine Vergiftung für die nächst wahrschein 
lichste Ursache hält, obgleich er nicht die geringsten Anhalts 
punkte für dieselbe gewinnen kann, denn die Kinder aßen und 
tranken nichts Schädliches, — und so verläßt er ganz un 
entschieden und ohne alle Maßregeln das Haus und befiehlt 
nur, „abzuwarten", was weiter geschehen werde. Bei dem 
Mädchen tritt nun das hitzige Fieber sehr stürmisch auf, und 
zwar noch weit stärker, als bei dem verstorbenen Knaben, so 
daß dieselbe sofort das Bewußtsein verliert, während die Er 
scheinungen bei dem Knaben Rudolph viel mäßiger und un 
scheinbarer verliefen, so daß er Tags darauf den Vorberei 
tungen zur Bestattung seines kleinen Bruders mit theilneh- 
mender Neugier folgte. Namentlich concentrirte sich sein gan 
zes lebhaftes Interesse in dem Blumenkränze, welcher den 
'Sarg des verblichenen Gustav schmücken sollte. 
Armer Knabe Du! wer hätte geahnt, daß die Blumen 
auch für Deinen Todtenkranz schon aufgeblüht waren!? An 
dem Mädchen fielen meiner Frau einige dunkelrothe Flecke am 
Halse auf, die sie in den letzten Stunden des Gustav auch 
an diesem beobachtete, und als sie nun den am Tage wie 
dererschienenen Arzt auf diese Flecke aufmerksam machte, con 
statirte derselbe — erst jetzt — mit wichtiger Miene, daß die 
Kinder vom — Scharlach befallen und auch der Gustav 
am Scharlach gestorben sei.
	        
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