Volltext: Der Naturarzt 1863 (1863)

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ärmsten Volksklassen aus dem angeführten Grunde der Bil 
ligkeit bedienen. 
Der Mensch bedarf im Drange des Lebens und zu sei 
ner Freude eines Genusses, der seine Lebensgeister mitunter 
anregt, das vielfache Unangenehme des Lebens verscheuchen, 
seinen Harm vergessen hilft und die freudige Stimmung er 
höht, wenn er nach des Tages Last Erholung sucht. Dazu 
kommt, daß der Branntwein denen, die sie sonst nicht erreichen 
können, eine warme Kleidung , Wohnung, selbst Nahrung er 
setzen, die Rauhigkeit des Climas und die Unbilden der Wit 
terung, Näsie und Kälte ertragen hilft, denen ein dürftiger 
Mensch ausgesetzt ist. Aus diesem Grunde schon scheint der 
Branntwein im rauhen Norden unentbehrlich. Er betäubt den 
Magen, so gut wie die Haut und das Hirn, macht jenem 
den Hunger nicht fühlbar, läßt Kälte und Nässe weniger em 
pfinden, und hilft so über manche Lebensnöthe hinweg. Diese 
Umstände lassen den Branntwein für den armen Menschen 
allerdings als eine (traurige) Wohlthat erscheinen. Allein gar 
schlimm sind aus der anderen Seite die Nachtheile und Fol 
gen zu häufigen und übermäßigen Branntweingenusses. Der 
fortwährende Genuß des Branntweines führt allmälig zu 
Veränderungen in fast allen Organen des Körpers und zu 
Störungen aller Verrichtungen, er wirkt als wirkliches Gift. 
Die Erscheinungen solcher bald langsamer, bald schneller er 
folgenden Vergiftung sind sehr mannigfach. Der Säufer ist 
sehr leicht erkennbar an seiner aufgedunsenen, bald roth, röth- 
lich blau, bald erdfahl, graugelblich, trocken aussehenden Ge 
sichtshaut. Bald erscheint er im Allgemeinen fett, aufge 
schwemmt in noch guten Zeiten, wo er noch rüstiger ist und 
noch hinreichend zu leben hat, bald abgemagert bei tieferer 
Erkrankung. Die Muskeln sind schlaff und kraftlos, die 
Hände zittern, die Kniee schlottern, jede körperliche Arbeit 
wird ihm sauer, er erschlafft und läßt bald die Arme sinken. 
Auch die Geisteskräfte, das Gedächtniß, die Urtheilskraft sind 
schwach und er macht den Eindruck eines dummen, blödsinni 
gen Menschen. Das Auge dringt aus seiner Höhle hervor, 
ist stier und geistlos Ein solcher Zustand läßt auch auf die 
Zerrüttungen in den inneren Organen schließen. Der Appe 
tit fehlt, der Magen will nichts recht vertragen und bei sich 
behalten, in den Athmungsorganen entsteht Verschleimung, der 
mit Branntwein Vergiftete hustet stets, würgt auch Schleim 
aus. Magen, Leber, Lungen, Nieren sind zerrüttet. So geht 
der Säufer unter immer zunehmender Erschöpfung bald schnel 
ler, bald langsamer dem Tode entgegen. 
Wiederholt stellt sich auch ein Zustand ein, der unter dem 
Namen des Säuferwahnsinns (Deliriums) bekannt ist, wo der 
Vergiftete als wirklich Geisteskranker, Wahnsinniger oder Blöd 
sinniger erscheint. 
Da zahlreiche körperliche und geistige Eigenthümlichkeiten 
von den Eltern auf die Kinder übergehen, so wird es nicht 
befremden, wenn Kinder von Trunkenbolden Anlage zu man 
cherlei geistigen und körperlichen Gebrechen mit zur Welt brin 
gen, besonders schreibt man ihnen eine Neigung zu Blutüber 
füllung und Entzündung des Gehirns, zu Brustleiden und 
verzögerter Entwickelung zu. 
(Fortsetzung folgt.) 
Beitrag zur Heilung der Syphilis*). 
Mitgetheilt von A. Fr. in Stettin. 
Es giebt kaum eine andere Krankheit, welche die Ver 
unreinigung des menschlichen Körpers mit primitiven, wie 
arzneilichen Giftstoffen so sehr brandmarkt, wie die Syphilis. 
Die Spuren ihrer zerstörenden Wirkungen findet man täglich, 
oft in den schrecklichsten Gestalten. Es dürfte daher von 
großem Nutzen sein, wenn dieser Gegenstand im Anschluß 
an die Kranken -Correspondenz (Seite 36 des „Naturarztes") 
weiter besprochen würde und man versuchte, die verschiedenen 
Erfahrungen, — möglichst nach den Krankheitsgraden, nach 
der Zahl der Geheilten und nach der Dauer der Heilung 
gruppirt — zusammenzustellen und darnach allmälig die 
Heilmethode festzusetzen, welche den schnellsten und sichersten 
Erfolg verspricht, zumal noch immer, fast allgemein, die An 
sicht herrscht, daß Syphilis blos durch künstliche Mittel, nicht 
aber durch Naturheilkräfte zu heben sei. Daß es sich hierbei 
nur um eine allgemeine Regel handeln könne, die zwar die 
Förderung des Heilprocesses im Auge hat, sich aber nach 
Maßgabe des Resultates des Jndividualisirens modificirte, 
versteht sich von selbst. 
Im Hinblick hierauf haben auch wir es versucht, einen 
Beitrag zu dem gedachten Heilverfahren zu liefern, und haben 
zu diesem Zwecke das . Material aus dem reichen Erfahrungs- 
Schatze entnommen, den die alten Aerzte hiesiger Wasserheil 
anstalten, Viek und A> Schulze, in einer langen Reihe von 
Jahren bei Ausübung der Praxis gesammelt haben. Diese 
Männer, zum hiesigen hydro-diätetischen Verein gehörig, ha 
ben gerne hierzu ihre Hand geboten und sind bereit, auch 
fernerhin dazu beizutragen, daß dieser Gegenstand zur voll 
ständigen Regelung gelangt. Betrachten wir nun zunächst die 
Entstehung der Syphilis. 
Nach der von I. Viek herausgegebenen Schrift über das 
Wasserheilverfahren und seine Anwendung bei den verschie 
densten Krankheiten (in Commission bei Th. -v. d. Nahmer 
in Stettin) versteht man unter Syphilis die Krankheit, deren 
Keime aus unreinem Beischlaf entspringen und sich in den 
verschiedenartigsten Erscheinungen kenntlich machen. Die Fort 
pflanzung des Giftstoffes geschieht gewöhnlich erst da, wo es 
durch Verletzung der Haut mit dem Blute in Berührung tritt; 
es kommen aber auch häufig Fälle vor, wo das syphilitische 
Gift beim Einimpfen der Pocken und durch kranke 
Ammen aus andere Individuen übertragen wird. Den An 
steckungen, die durch Berührung der Geschlechtstheile eintre 
ten, läßt sich oft leicht vorbeugen; man darf dieselben nur 
durch tägliche kalte Waschungen, sowie durch leichte Kleidung, 
auch Unbedeckttragen der Eichel mit der Vorhaut, abhärten, 
resp. nach stattgehabtem Beischlaf mit lauem Wasser, Urin 
oder Seifenwasser re. schnell reinigen. Die Syphilis in ihrem 
*) A nm. der Red. Da der Herr Referent, wie aus seiner 
nachf. Erklärung hervorgeht, nur die Verfahrungsweise zweier Stetti 
ner Naturärzte bei der Syphilis „zur Prüfung" vorlegen will, so 
konnten wir den gegenwärtigen. Aufsatz um so lieber aufuehmen, als 
eine Anregung zu, aber auch eine Theilnahme an mehrseitiger Aus 
sprache über die bisherigen Resulate rein physiatrischer Behandlung der 
Syphilis höchst dankens- und wünschenswerth ist. Auch wir erlauben 
uns, unsere Bemerkungen und resp. Bedenken hie und da gegen die 
Viek'sche und Schulze'sche Kurart anzuknüpfen, in der Hoffnung, da 
durch noch mehr Stoff und Anlaß zu vielfacher Aussprache über den 
hochwichtigen Gegenstand zu geben.
	        
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