Volltext: Der Naturarzt 1869 (1869)

Belehrung eine solche Fluth von Belästigungen zugezogen, 
daß ich, um diese in Zukunft zu vermeiden, zwei der aus— 
gezeichnetsten Fabrikanten chemischer Produkte, die Herren 
G. C. Zimmer in Mannheim und L. C. Marquart in 
Bonn, veranlaßt habe, beide Pulver nach meiner Vorschrift 
darzustellen; nach den von ihnen empfangenen Proben ist 
beiden die Darstellung vortrefflich gelungen, und die Per— 
sonen, welche geneigt sind, sich mit diesem neuen Backver— 
fahren zu befreunden, dürfen sich nur an sie wenden, um 
sowohl das Material als eine genaue Vorschrift zu dessen 
Anwendung von ihnen zu bekommen. 
II. Das Knochenbrod. 
Herr Baron v. Liebig zu München haben, wie Sie 
selbst eingestehen, mit dem sogenannten „Liebigbrod“ durch— 
aus Fiasko gemacht. Sie schieben die Schuld auf das Publi— 
kum, indem Hochdieselben sagen: „Auf den Geschmack— 
sinn der Menschen haben Vernunftgründe wenig 
Einfluß.“ Das ist nun freilich wahr; denn eben dieser 
Umstand ist es ja hauptsächlich, der, bei der einmal zur 
Gewohnheit gewordenen unnatürlichen Lebensweise, die 
allgemeine Einführung der natürlichen, d. h. der sog. 
„blutlosen Diät“ der Vegetareaner, so bedauerlich behindert. 
Aber gegenüber dem „Liebigbrod“ stand — was die 
gelehrten Herrschaften auch sagen mögen — der Geschmack— 
sinn der Menschen unbewußterweise gerade im Dienste der 
Vernunft. 
Die Vegetareaner haben vorhergesehen, daß es so kom— 
men müsse, und wenn ich damals in diesem Blatte*) gegen 
die Verliebigung des Brodes protestirte und das „Graham— 
brod“ empfahl, so geschah das von keinem andern Stand— 
punkt als dem des vegetareanischen Nährprinzips aus, — 
eines Regimes, dessen Anhänger bereits in fast allen Län— 
dern der zivilisirten und nichtzivilisirten Welt nach Tausen— 
den zählen und auch in Deutschland mit jedem Jahre sich 
mehren, — eines Regimes, das siegreich durchdringen muß, 
weil die Wahrheit zuletzt unbesiegbar ist. Wir protestiren 
und werden protestiren, so lange wir Athem haben, gegen 
jede wie auch geartete Heranziehung von Substanzen des 
Mineral- und des Thierreichs zur Lehre von den Nahrungs— 
mitteln des Menschen. Mit diesem Protest steht und fällt 
unsere Nahrungsmittellehre, welche, an der Hand geschul— 
ter Anatomen und Physiologen, behauptet und beweist, daß 
der Mensch von Natur aus kein Carnivore oder Fleischfresser, 
wie der Tiger, kein Herbivore oder Grasfresser, wie das 
Schaf, kein Omnivore oder Allesfresser, wie das Schwein, 
sondern ein Frugivore oder Fruchtesser, wie der Affe, sei. 
Von diesem unserm Lehrsatz aus war das Liebigbrod 
von vornherein verurtheilt, denn es vermischt mi— 
neralische und pflanzliche Substanzen. 
Es nützt dem gelehrten Dünkel der Liebigianer nichts: 
vornehm herabzusehen auf uns geistig arme und sozial ver— 
achtete oder gar mitleidig belächelte Vegetareaner. Wir blei— 
ben dennoch die Träger einer nicht mehr ausrottbaren höheren 
Erkenntniß, einer kindlich-einfachen Gesundheitswissenschaft, 
einer nicht nur kurativen (wiederherstellenden), nicht nur pallia— 
tiven (theilweise erleichternden und bessernden), sondern vor 
— — — 
*) Vergl. Nr. 8, S. 62, des vor. Jahrg. dieses Bl. 
allen Dingen einer prophylaktischen (vorbeugenden) Therapie 
oder Heilweise. Von jeher hat alles ungelehrt Einfache 
die meisten Widersacher, hingegen alles gelehrt Verwickelte, 
Verzwickte und Verzwackte, alles wissenschaftlich Mysteriöse 
ind Unverständliche die meisten theils bethörenden, theils be— 
hörten An- und Nachbeter gefunden. Jene Wahrheit aus 
Bethlehem, die wir in diesen Tagen feiern, wurde — es ist 
oft gesagt worden, es werde hier noch einmal gesagt — nicht 
von den sich klug und weise dünkenden Schriftgelehrten, son— 
dern von den armen kleinen ungelehrten Leuten erkannt und 
berbreitet. Darauf darf ich hier hinweisen, denn alle wirk— 
lich großen weltumgestaltenden Wahrheiten haben einen 
gemeinsamen Ausgangspunkt: Gott! So betrachtet, ist die 
vegetareanische oder physische Wahrheit ein Theil der psy— 
hischen, wie uns letztere im Christenthum erschlossen ist. 
Hier ist die Ergänzung des Ewigen und Seelischen durch 
sas Natürliche und Leibliche gesetzt. In diesem Lichte 
inden wir das rechte Licht auch auf dem Gebiet der Frage: 
vas sollen wir, damit eine gesunde Seele im gesunden Leibe 
vohnen könne, essen und trinken? Und da erkennen wir bald, 
zaß der wahre Arzt, wie der wahre Priester, den idealen 
Beruf hat: nicht fich nothwendig, sondern sich überflüs— 
ig zu machen. Wer das mißversteht, für den habe ich nicht 
geschrieben. 
Herr Baron v. Liebig beruhigen sich bei dem Fiasko 
eines Liebigbrodes keineswegs; Sie laden den Dämon nun— 
nehr auf eine andere Karre, und zwar auf eine noch 
ziel schlimmere. 
Herr Baron v. Liebig ziehen nämlich seinen ehemaligen 
Schüler, den Professor Horsford in Cambridge in Nord— 
merika heran, lassen ihn ein „Backpulver“ erfinden und 
mpfehlen dasselbe als „eine der wichtigsten und segensreich— 
ten Erfindungen des letzten Jahrzehnts.“ 
Aber Herr Baron v. Liebig dürften sich abermals ver⸗ 
rechnen. Ich fürchte, selbst die begeistertsten Fleischfresser 
verden, sich dieses „Backpulver“ zu verbitten, den nöthigen 
Ekel haben. 
Herr Baron v. Liebig schreiben: „Das Horsford'sche 
Backpulver besteht aus zwei Präparaten in Pulverform, einem 
Säurepulver und einem Alkalipulver. — Phosphorsäure in 
Hestalt eines weißen trockenen Pulvers wird Manchem ein 
Käthsel sein; in der That liegt darin der Kern der 
Zache (Hört!) Horsford bereitet seine Phoshorsäure aus 
sehr gut gewafchenen (), reinen (2), bis zur vollständigen 
Weiße gebrannten Knochen.“ 
Also Knochenbrod! Anders vermag der schlichte Volks— 
oerstand dieses widerliche Machwerk nicht zu verstehen und 
einen andern Namen kann er ihm nie geben. 
Wohl bekomme Euch diese „segensreiche Erfindung!“ 
Die Lorbeern des Imports südamerikanischer Stink-Büffel, 
in Gestalt von Fleischextrakt, also die Bermehrung des 
m Verkehr vorhandenen Fleischgiftes (denn vom vege— 
areanischen Standpunkt aus angesehen, ist der Genuß von 
Fleisch und Spirituosen die entsetzliche Hauptquelle alles 
menschlichen Gebrestes!) — diese Lorbeern genügen dem Hrn. 
Baron v. Liebig nicht. Er muß nun das animalische 
Gift auch in's Brod einführen! Das ist denn doch 
eine Höhe wissenschaftlicher Verirrung, auf ders der Hoch⸗ 
muth vor dem Falle kommt. Wenn diese hochgelehrten In— 
haber der Naturwissenschaft mit derartigen Erfindungen im
	        
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