Volltext: Der Naturarzt 1869 (1869)

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damit die Salze und andere Extractivstoffe nicht daraus 
entfernt würden. — Kranken würde ich rathen, sowohl das 
Fett, als auch die Eier zu vermeiden, um den leidenden Or— 
ganen keinen Ballast aufzubürden. — Mein Kind hält sich 
aus eigenem freien Antriebe fast ausschließlich an trockene 
Kartoffeln und trinkt Milch dazu. Milch, Brod und Obst 
werden bei jeder Mahlzeit genossie. 
Abends gibt's frische, kalte Milch, Brod und Obst. Im 
Winter kommen dann alle Sorten getrockneten Obstes (in 
Wasser gequellt und gar gekocht) an die Reihe. Zwischen den 
Mahlzeiten essen die Erwachsenen Nichts; das Kind kann 
immer etwas Obst, oder Brod und Obst bekommen, wenn 
es Hunger verspürt. Dafür verschmäht der Junge am Abend 
meist alles Andere als ein Butterbrod und ein Glas Wasser. 
Ich kann versichern, daß diese Lebensweise ebenso ge— 
nußreich als gesund ist. Der Geschmack, von allem Scharfen 
und Beizenden befreit, empfindet an diesen einfachsten Nah— 
rungsmitteln ein größeres und unendlich feineres Behagen 
als an der frühern üppigen Kost, und der Gesundheit sind, 
wie schon gesagt, mindestens drei Viertel aller frühern Feinde 
aus dem Wege geräumt. Verdauungs- und selbst Erkältungs— 
leiden werden nahezu unbekannte Gäste. Allerdings empfindet 
man diese Wohlthaten erst nach einer Uebergangszeit von 
einigen Wochen, denn der Mensch ist ein Gewohnheitsthier 
und trennt sich immer schwer von dem langjährig Eingewur— 
zelten. Bei einiger Charakterstärke siegt aber bald die bessere 
Ueberzeugung. (Fortsetzung folgt.) 
Vom Bücherkisch. 
Dr. A. Radioleau. Von der moralischen HYeilkunde bei 
der Vehandlong der nervösen Krankheiten. Ein von der 
kaiserl. franz. Akademie der Medizin gekröntes Werk. 
Frei übersetzt und mit Anmerkungen und Zusätzen aus— 
gestattet von Dr. Eisenmann. Würzburg. Stahel'sche 
Buch- und Kunsthandlung. 1865. Preis 1fl. 18 kr. 
S. XV und 175. 
Kant, der Königsberger Philosoph, suchte bekanntlich 
in seiner an Hufeland gerichteten kleinen Schrift *) nach— 
zuweisen, welch' umstimmende, Heilung befördernde Macht 
das Gemüth und der Wille des Menschen auf in ihm vor— 
handene Kraukheitsgefühle besitze Dr. Padioleau geht in 
obigem Werke von der gleichen Ueberzeugung aus und sucht 
diese an einer außerordentlich reichen, gewiß mühsam herbei— 
geschafften Anzahl von Krankheitsfällen zu begründen. Dür— 
fen wir auch nicht jeden einzelnen dieser für wahr und richtig 
und als auf gründlich unbefangener Beobachtung ruhend 
annehmen, so ist doch die überwiegende Mehrzahl derselben 
von schlagender Wirkung und bietet ein überaus reiches Ma 
terial zum weitern Ausbau der „moralischen Heilkunde“, d. h. 
desjenigen Zweiges der Heilkunde, der den Arzt veranlassen 
soll, auf Grund eingehenden Nachdenkens über den vor— 
liegenden Fall die Heilung desselben von der geistigen, von 
der gemüthlichen, von der sittlichen Seite des Kranken aus 
in Angriff zu nehmen, ihn bald durch vernünftige Ein- und 
Ausrede, durch Vertrauen zu sich selbst, durch Selbstbeherr— 
schung, durch Entbehrung und Entsagung, bald durch Zuhülfe— 
nahme einer unschuldigen Täuschung — nur um das auf 
) Von der Macht des Gemüths, seiner krankhaften Gefühle Meister 
zu werden, von J. Kant. 
indere Weise nicht zu erwerbende Zutrauen zu erlangen — 
ur Heilung überzuführen. Der Verfasser huldigt im Gan— 
jen sehr freien Heilgrundsätzen, auf die Wirkung der medika— 
nentösen Heilmittel gibt er äußerst wenig, ja meist gar 
aichts, zieht — wie sich von selbst versteht — namentlich 
in allen Nervenleiden die sittliche Einwirkung des Arztes 
illen andern Einflüssen vor, legt sehr großen Werth vor 
Allem auf eine zweckmäßige Diätetik und Hygieine und 
mpfiehlt unendlich oft hydrotherapeutische (Wasserkur⸗) Heil— 
ormeln an, freilich meist wenig scerupulös in der Auswahl. 
Schlagend, ergötzlich schlagend sind oft seine angerufenen 
Krankheitsgeschichten gegen den Mittelaberglauben, und gar 
oft führt er Kranke und — Aerzte vor, die ein post hoc 
für ein propter hoc zu nehmen geneigt waren, die eine 
pollzogene Heilung als Wirkung des Vorauf gereichten Heil— 
mittels ansahen. Er sagt darum selbst auch (S. 67): „Wir 
haben schon wiederholt gezeigt, wie unsicher wir sind, wenn 
wir den wahren Werth der Arzneimittel bemessen wollen, 
welche gegen eine Menge von Krankheiten gerühmt sind, und 
wie diese Unsicherheit um so größer wird, wenn es sich um 
die Wirkung dieser Medikamente auf Nervenkrankheiten han— 
delt, und wie steht es erst damit bei chronischen Krankheiten? 
Leclerec sagt: „„Wer kann sagen, ob die glücklichen Er— 
'olge, die wir bei so vielen chronischen Krankheiten erzielen, 
nicht mehr einer zweckmäßigen und geordneten Lebensweise 
zu danken sind, als den oft unnützen Arzneimitteln?““ Ich 
hatte mehre Beobachtungen gesammelt, welche auf das deut— 
lichste den ungeheuern Einfluß des Gemüthes auf die Melan— 
holie und die Hypochondrie beweisen und anderseits den 
egitimen Antheil der medikamentösen Behandlung an der 
Heilung bemessen lassen; aber ich werde sie hier unter— 
rücken.“ Indeß, trotz der Schonung, die der Verfasser seinen 
Zunftkollegen angedeihen zu lassen gedenkt, ist doch das ganze 
Buch fast Seite für Seite Schlag auf Schlag gegen den 
Glauben und das Vertrauen auf die Herren Mediziner und 
ihre Arzneien. Z. B. S. 71 u. ff.: „Prof. Trousseau 
behandelte einen ausgezeichneten Mann, Herrn D., Professor 
an der polytechnischen Schule. Nach einer schweren Krank— 
heit mit schwieriger Wiedergenesung hatte derselbe bedeutendes 
Blutspeien bekommen, welches sich alle Tage nach dem Mittag— 
essen einstellte. Die verordneten Mittel hatten keinen Erfolg. 
Dr. Trousseau erklärte die Krankheit für bedenklich und 
schickte den Kranken zu Professor Bretonneau in Tours. 
Dieser verordnete dem Kranken Klystiere mit China und 
Belladonna-Pillen. Da aber Prof. Bretonneau nur im 
Fluge zu sprechen gewesen war, so zog Herr D. es vor, mit 
seinen Freunden Ausläufe in die Umgegend zu machen. Eines 
Tages war er bis nach St. Maure gekommen und da er 
die Eisenbahn versäumt hatte, entschloß er sich, den langen 
Weg zu Fuß zu machen. Es war dieses zur Stunde, wo 
sich das Blutspeien hätte einstellen sollen; doch an diesem 
Tage warf er nur wenig Blut aus. Dieses wohl beachtend, 
setzte er seine langen Fußtouren trotz des schlechten und 
kalten Februarwetters fort und wurde von seinem Blutspeien 
vollkommen befreit. Wäre Herr Bretonneau etwas leich— 
der zugünglich gewesen und hätte den Herrn D. regelmäßig 
hehandelt, so würde er ohne Zweifel die Heilung der Krank— 
heit (entweder nicht erreicht oder) seinem Lieblingsmittel, der 
Belladonna, zugeschrieben haben. Denn wenn durch ein glück— 
liches Zusammentreffen das Medikament an demselben Tage 
genommen worden wäre, wo in Folge der langen Fußtour
	        
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