Volltext: Der Naturarzt 1869 (1869)

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Unser täglich Brod. 
Zu welcher Lebensweise wir uns auch halten, ob zu der 
herkömmlichen mit „Suppe, Gemüse und Fleisch“, oder zu 
der sog. natürlichen mit „Brod, Gemüse und Obst“ — so 
bleibt doch das Brod immer eine große Hauptsache und seine 
Beschaffenheit ist von größerer Wichtigkeit, als man gemein— 
hin glaubt. „Je feiner, je besser“ ist die allgemeine Ansicht 
(wenigstens in den Städten) und namentlich warnt man 
Kinder eindringlich vor dem Genuß von unverdaulichem, gro— 
bem Brod. — Gerade das Gegentheil ist das Wahre: je 
gröber, desto besser ist das Brod, aber es muß gut gekaut 
und nicht heil verschluckt werden. Das feine Backwerk, na— 
mentlich die mit Fett gebackenen Leckereien sind die ergiebigste 
Quelle von Verdauungsstörungen, Magenkatarrh, Hartleibig 
keit und allen bösen Folgen derselben. 
Das beste Brod ist Weizenschrotbrod ohne Salz und 
ohne Säure, auch Graham-Brod genannt. Als ich vor 
einem Jahre dessen Herstellung und vortreffliche Eigenschaften 
in hiesigen Blättern mitgetheilt, kam es auch hier sehr rasch 
in Aufnahme, wurde von hier aus in vielen andern Orten 
bekannt und bewährte sich vortrefflich. Bei dem Genuß des 
Brodes sahen Viele ihre langjährigen Unterleibs- und Ver— 
dauungsleiden schwinden und waren sehr entzückt davon. 
Und dennoch hat die Nachfrage abgenommen, von den 
6 Bäckern, die das Brod täglich buken, haben 3 es schon 
wieder aufgegeben. Woher kommt das? Im Allgemeinen von 
der Macht der Gewohnheit, die auf das allgemein Uebliche 
zurückführt, auch wenn man Besseres haben kann. Im Be— 
sondern aber ist es die Schuld der Bäcker. Sie bleiben hart— 
näckig dabei, das Brod mit Hefe zu backen, damit es besser 
aufgeht und ein gefälliges, gleichmäßiges Aeußere hat. Da— 
von ist die Folge, daß das Brod nur am ersten Tage an— 
genehm schmeckt, daß es krümlich ist, nicht in dünne Schei 
ben geschnitten werden kann, und, was die Hauptsache ist, 
nicht immer und nicht Jedem gut bekommt. Es ist eben ein 
Brod, das man sich bald zuwider ißt. Ich habe nach mo— 
natelanger Mühe erreicht, daß für mich apart, auf iäglich 
erneuete Bestellung, mein Bedarf nach Vorschrift, ohne Hefen 
gebacken wird. Dies Brod ist von besonderm Wohlgeschmack, 
ist trotz seines dichten schweren Aussehens immer angenehm 
zu essen, immer wohl bekommend. Es bleibt mehrere Tage 
lang saftig und frisch, läßt sich mit einem scharfen Messer 
in die dünnsten Scheiben schneiden und schimmelt nicht, waͤh— 
rend mir von dem hefe⸗gebackenen mitgetheilt wird, daß es 
schon nach drei Tagen Faden zöge! — Natürlich: Hefe be— 
steht ja aus Pilz-Sporen und wer weiß, ob sie in der Back— 
hitze ihre Keimkraft verlieren! 
Ferner wird geklagt, daß das Brod zu theuer sei (per 
Pfund 2 Sgr). Ich kann dies nicht beurtheilen, ich habe für 
meinen kleinen Bedarf den Preis immer sehr gern bezahlt. 
Ich will auch gern anerkennen, daß die richtige Herstellung 
des Brodes eine besondere Aufmerksamkeit erfordert und daß 
daher der Bäcker voll berechtigt ist, sich dafür bezahlen zu 
lassen. — Aber für größere Familien ist der Preis ein Um— 
stand, der schwer in's Gewicht fällt und wohl eine Prüfung 
fordert. Das kann am besten durch Selbstbereitung unter— 
sucht werden, wobei man noch den Vortheil hat, das Korn 
vorher gut reinigen und waschen zu können. Ich habe daher 
von dem Professor Dr. Trall in New-York eine der in Ame— 
rika gebräuchlichen Handmühlen verschrieben und werde über 
die Selbstbereitung Versuche anstellen.) 
Alles, was sonst über die großen Vorzüge des Graham— 
brodes zu sagen ist und das Wesentliche über dessen Berei— 
tung ist zusammengestellt in einem Büchlein von Dr. Hor—⸗ 
sell: Unser tägliches Brod Gerlin, bei Grieben. Preis 
71/2 Sgr.), das hiermit bestens empfohlen sei. 
Als praktisch für viele Familien meiner Mitbürger hebe 
ich nur noch hervor, daß Grahambrod mit Milch und schönem 
reifem Obst das beste Nahrungsmittel für kleine Kinder ist, 
die entwöhnt werden und zu ihrer vollen Ernährung aus— 
reicht. Man gebe doch um Gotteswillen so kleinen Wesen 
aoch keine Bouillon, oder gar gehacktes, rohes Fleisch — 
das ist wiedernatürlich und niemals gesund. — Ferner ist 
Grahambrod vortrefflich für Mütter, die ihre Kinder selbst 
nähren, sie können es im Wochenbett vom ersten Tage an 
genießen — natürlich nicht über Appetit. — Auch für Kranke 
und Genesende, soweit sie überhaupt Appetit haben, ist Gra— 
jambrod die beste Speise. — Die Erfahrung hat dies ge— 
lehrt, in Europa und Amerika; Zeuge ist u. A. der Arzt 
Th. Hahn auf der Waid mit seiner eigenen Familie und 
allen seinen Patienten. 
3. 
Von der Fleischbrühe. 
Der große Chemiker, Herr von Liebig, ist der Vater 
der jetzt herrschenden Nahrungsmittel-Theorien, welche die 
Ueberlegenheit der Fleischnahrung begründen sollen. Da die 
Männer, zu welchen ich mich halte, die Verkehrtheit dieser 
Theorie praktisch beweisen, so kommen wir bei aller aufrich— 
tigen Hochachtung vor dem ungewöhnlichen Genie und Fleiße 
des Herrn von Liebig doch oft in die Lage, ihm widerspre— 
chen zu müssen. Doch haben wir zuweilen auch die Freude, 
daß selbst Liebig Argumente für unsere Sache liefert. So 
bringt er in der Köln. Zeitung vom 4. Juni d. J. eine 
populäre, kurze Darlegung seiner Theorie und sagt wörtlich: 
„Die löslichen Bestandtheile des Fleisches, die wir in der 
Fleischbrühe oder dem Fleischextrakte haben, besitzen keinen 
Nährwerth.“ Das vollständig ausgekochte Fleisch aber 
die Fleisch-Albuminate) ist so unbrauchbar, daß selbst die 
Schweine es nicht fressen wollen, und anderm Futter beige— 
nischt, sind die Schweine davon krank geworden und gestor— 
ben. Daraus folgert Liebig, daß die Brühe und die Albu— 
minate nur zusammen Nährwerth besitzen, also als Braten 
und daß Pflanzennahrung durch Zusatz von Fleischextrakt 
diesem gleichwerthig werde. — Wir Vegetarianer ziehen nun 
vor, uns die Pflanzenkost nicht durch Zusatz von Fleischextrakt 
zu verunreinigen, aber nehmen gern das Zeugniß des Herrn 
von Liebig, daß die Fleischbrühe für sich keinen Nährwerth 
besitze, sondern nur ein Reizmittel sei, für uns in Anspruch. 
Das haben die Vegetarianer schon immer ausgesprochen, 
jetzt aber erleben wir den Triumph, daß die neueste Wissen— 
schaft noch weiter geht und mit uns sagt: Fleischbrühe 
ist tödtliches Gift! — 
x*) In Nro. 4 des „Vereinsblattes für Freunde der natürlichen 
Lebensweise“ (Ed. Baltzer, Nordhausen) wird einer Handmühle erwähnt, 
welche Herr Maschinenbauer C. Hartmann in Nordhausen Bäcker— 
straße 461, um den Preis von ungefähr 10 Rcehsthlr. liefert. 
Der Herausgeber.
	        
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