erund gestanden. Wenn man von diesem Gesichtspunkt aus die In-
schrift allein betrachtet, so könnte die immerhin auffallende Ausdrucks-
weise: Tassilo der „tapfere‘‘, oder gar der „mächtige‘‘ Herzog, wie man
auch übersetzen kann, und die Betonung der königlichen Abstammung
Liutpirgas schon eine gewisse Berechtigung für solche Auffassung sein.
Weist nicht auch deren reiche Morgengabe — die Rückstellung von
Norithalgau und Vinschgau an Bayern — darauf hin, daß die Werbung
für die Heirat vielleicht doch eher von langobardischer denn von bay-
rischer Seite ausging? Auch die eigenartige Darstellung: Marias auf dem
Fuß des Kelches und deren Beziehungen zum Namenszug Liutpirgas
können hier berücksichtigt werden. Denkt man aber an den Gesamt-
inhalt des auf dem Kelch Dargestellten, dann dürfte eine Einflußnahme
des regierenden Herzogs beim geistigen Aufbau des Ganzen kaum aus-
geschaltet werden können. Die weiteren Untersuchungen werden diesen
Eindruck noch verstärken.
Will man sich bei den Untersuchungen über die Entstehung des
Tassilokelches nicht in Phantastereien verlieren, muß man sie in eng-
ster Fühlungnahme mit dem Werke selbst versuchen. Zu den folgenden
Ausführungen sollen daher die Figuren des Bildes 19 (S. 64) herange-
zogen werden.
Es ist am Tassilokelch: schon immer die Gesetzmäßigkeit und
wunderbare Harmonie aufgefallen. Wo. steckt der Schlüssel .zu alldem?
Bei der romanischen Basilika ist es das Vierungsquadrat, das diesen
Schlüssel darstellt. Schon die ägyptischen und griechischen Meister hat-
ten bei ihren Bauten, Plastiken und Malereien bestimmte Gesetze, Ver-
hältnisse, einen Kanon; sollte es. beim Tassilokelch nicht auch so etwas
geben. Ja, es muß so etwas geben; aber wo liegt die Lösung? Bemü-
hungen von. verschiedener Seite blieben erfolglos, obwohl möglichst
genaue Angaben (vgl. Kap. 1.) zur Verfügung standen. Da kam der
entscheidende Anstoß ganz unerwartet. Am 5. Nov. 1948 war Haupt-
schuldirektor Julius Arnreiter von Gmunden bei einem Vortrag, über
den Tassilokelech in Kremsmünster anwesend. Er wurde so begeistert,
daß er nicht nur den ganzen Vortrag zu Hause skizzierte, sondern sich
auch an die Lösung des Problems wagte. Und sie gelang im wesent-
lichen. Ausgehend von den 5 Bildern an der Kuppa und den dazwi-
schenliegenden 5 Zwickeln, kam Arnreiter auf, den glücklichen Ge-
danken, dem Randkreis der äußeren Kuppa ein gleichseitiges Zehneck
so einzuschreiben, daß dessen: Achsen abwechselnd die Flächen der
Bilder und Zwickel halbieren. (Fig. 1). Auch‘ bewies er, daß eine Seite
des eingeschriebenen Zehneckes (s) = drei Radius des kleineren Halb-
kreises. am Bogenfries (r) ausmacht. Fig 2 zeigt das Grundlegende. der
Zeichnung Arnreiters. Der Versuch, mit den so gewonnenen Maßen
nun die Höhe des Tassilokelches und das Verhältnis der einzelnen Teile
desselben untereinander festzustellen, konnte bei den zur. Verfügung
stehenden primitiven Mitteln — nur eine größere Abbildung des Kel-
ches — nicht ganz gelingen. Aber die Berechnung der Höhe des Kelch-
fußes mit 11% s und die des Nodus mit 1 s ist ihm geglückt. Das sind
jene Teile des Kelches, die unbeschädigt auf uns gekommeen sind.
Damit war für weitere Untersuchungen fester Grund gegeben, auf dem