Volltext: Fünfzehntes Bändchen (15. 1931)

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Im unteren Bayerischen Wald sind Matratzen selten ge¬ 
bräuchlich, sondern meistens Strohsäcke und darüber ein 
Unterbett. Es besteht dort die eigenartige Sitte, daß der 
Strohsack, auf welchem ein Menschenkind seinen letzten Kampf 
ausgerungen hat, auf ein weites Feld in einiger Entfernung 
vom Wohnhaus gebracht und in der Dämmerung angezündet 
det wird. Während das Stroh aufflammt — so recht ein 
Bild der Vergänglichkeit alles Irdischen — versammeln sich 
die Verwandten und Angehörigen, manchmal auch die Nach¬ 
barschaft und beten laut das Ablaßgebet für die abgeschiedene 
Seele. Wo immer in der Pfarrei und darüber hinaus das 
Feuer gemerkt wird, versammelt der Hausvater das Gesinde 
in der Stube zum Gebet. „Ein Bettstroh brennt," dieses 
Wort genügt, der Waldler versteht dessen Bedeutung. Es ist 
das ein erschütternder und sinniger Brauch, der schon auf 
manchen Fremden tiefen Eindruck machte. 
So war nun auch an diesem Tag die abendliche Däm- 
merung gekommen. Noch immer war die Mutter nicht heim- 
gekehrt. Es mußte das Bettstroh angezündet werden, so 
forderte es die althergebrachte Sitte — wenn auch dem Ver- 
storbenen nicht gegönnt war, in seinem Bett und auf seinem 
Strohsack zu sterben. Ein Aufschieben der traurigen Arbeit 
war nicht mehr möglich und so zündete man das Stroh an 
und begann, laut die üblichen Gebete zu verrichten. 
Indessen waren die Mutter und deren Begleiterin ihrem 
Heim immer näher gekommen. Reiche Beute hatten sie ge- 
macht und waren daher in der fröhlichsten Stimmung. Das 
Herz der jungen Mutter jubelte auf, wenn sie an das Glück 
dachte, das ihr bei ihrer Heimkchr aus zwei leuchtenden Kin- 
desaugen entgegenstrahlen würde, und an den Gatten, der 
sie wohl schon mit Sehnsucht erwartete. 
Eben hatten die beiden Frauen wieder ein fröhliches 
Liedchen beendet, da bemerkten sie von fern das Strohfeuer. 
„Ein Bettstroh brennt", sagte die Nachbarin. „Schau hin, es 
ist in der Nähe unserer Häuser," sprach erschrocken die Mutter. 
„Wer mag gestorben sein, es ist in der ganzen Umgegend nie- 
mand krank" — so frugen sie sich gegenseitig und beflügelten 
ihre Schritte. Keuchend, unter der Last ihrer vollgefüllten 
Körbe hatten sie noch einen hohen Berg zu übersetzen und 
dann waren sie zu Hause. Doch welch ein Jammer! Auf dem 
hochgelegenen Acker glimmten noch die letzten Reste des Bett-- 
strohs. Die beiden eilten hin und vernahmen von ferne den
	        
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