Volltext: Zehntes Bändchen (10. 1925)

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selber zur Besichtigung des ganz eingetrockneten Leichnams darf aber nur im Beiseins 
des jeweiligen Pfarrers geöffnet werden. Den Gruftschlüssel hat auch der Mesner. 
Alle sicheren und näheren Daten über dessen Namen sowie über das Alter der 
Mumie fehlen. 
Am wahrscheinlichsten ist der Leichnam identisch mit einem gewissen Franz 
Xaver Sidler, einstigem Pfarrvikar hier und Chorherr von Waldhausen, einst 
Augustinerkloster, von Kaiser Josef II. aufgehoben. Die Sterbematrik, Buch 2, 
weist hierüber folgende Eintragung auf: Anno Domini 1746, Sept. 3, sepultus 
est plurimum Reverendus, Religisissimus, Praenobilis, clarissimus ac 
doctissimus Dominus Franciscus Xaverius Sidler, Parochus hujus loci, 
aetatis 37 et omnibus Saeramentis praemunitus — in deutscher Uebersetzung: 
Im Jahre 1746 am 3. September ist hier beigesetzt worden der hochwürdige, sehr 
fromme, berühmte allgemein geachtete und gelehrteste Herr Franz Xaver Sidler, 
Pfarrer von hier, 37 Jahre alt, versehen mit allen heiligen Sterbesakramenten. 
Ob, wie gesagt, diese Eintragung in die Sterbematrik identisch ist mit unserer 
fraglichen Mumie, ist eben nicht ganz sicher. Doch sprechen wichtige Gründe dafür. 
Nach Größe und Naturstärke des Körpers zu schließen, stimmt das Alter vortrefflich. 
Das Gebiß der Leiche ist noch sehr gut erhalten. 
Die Kirche steht nicht unwahrscheinlich an der Südseite auf den Grundmauern 
eines ehemaligen Schloßgebäudes. An dieser Seite sind kleine Außenfenster an der 
ganzen Front bis rückwärts sichtbar zwischen Stützpfeilern, die zwei Gruftfenster 
offen, die anderen vermauert. Warum vermauert? Wer hat's vermauert? Wann 
wurden sie vermauert? Die Antwort müssen wir uns schuldig bleiben. Aufzeichnungen 
liegen nicht vor. Aber, daß solche unterirdische Grüfte, und Kammern an der 
ganzen Südseite unter dem jetzigen Kirchenpflaster liegen, ist gar nicht ausgeschlossen. 
Ein Stock z. B. zwischen die Fugen der Stiegenstufen gesteckt, geht hohl durch. 
Könnten nicht auch weiter nach rückwärts solche Leichname in früheren Zeiten bei- 
gesetzt worden sein? Auf Räumlichkeiten lassen unbedingt die Außenfenster schließen. 
Uebrigens sollen drei solcher Leichen in der Gruft beigesetzt gewesen sein. 
Die anderen zwei waren bei Behebung ganz in Moder zerfallen und wurden an- 
geblich die menschlichen Ueberreste im Friedhofe beigesetzt. Die dritte gegenwärtige 
Leiche zerfiel nicht und kann heute noch der ganze Körper gehoben werden. Wie 
dies in diesem Raume ohne Einbalsamierung möglich war, ist eben eine offene 
Frage. Sind Personen der einstigen Schloßherrschaft beigesetzt worden, so gilt dies 
in gleicher Weise selbstverständlich auch von Frauen. Unsere Mumie ist aber eine 
männliche Leiche. Selbst Aerzte stehen hier vor einem Rätsel. Möglich, daß sichere 
Quellen beim ehemaligen Brande (Waldhausen) auch mit zugrundegegangen sind. 
Möglich, daß das Landesarchiv Aufschluß geben könnte; aber ausgeliehen 
werden diese Bücher nicht, und wer sie studienhalber benützen will, müßte selber 
sich einige Tage Urlaub nehmen und an Ort und Stelle in Linz selber diese 
Quellen studieren. Auf jeden Fall ist unser hochgelegenes Thomas eine geschichtliche 
Stätte von mehreren Jahrhunderten. Wie bei manchen anderen hat auch bei Ent- 
stehung die Sage ihre Hand im Spiele. Warum man denn diesen Ort soweit und 
auf: hinaufgebaut — so fragten schon viele? Ursprünglich soll auch der Grund 
zur Kirche bei den Martalerhäusern geplant gewesen sein. Ein Zimmermann hat 
sich beim Holzzuhacken verwundet und ein Vogel flog mit einem blutigen Splitter 
auf jetzige Höhe. Heute schaut der Ort moderner aus. Schon die Brände ver- 
anlaßten Neubauten. Der rechte sogenannte Floriani-Seitenaltar zeigt heute noch 
das einstige schloßartige Thomas mit Kirche und massivem Pfarrhof. Nicht leicht
	        
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