Volltext: Achtes Bändchen (8. 1923)

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Es beteiligte sich die Pfarrgemeinde auch immer fleißig bei den vielen teils von den 
der staatlichen, teils von der kirchlichen Behörde während des Krieges und auch 
noch durch Jahre hindurch nach demselben veranlaßten Sammlungen von Geld und 
Naturalien (Lebensmittel. Wäsche, Wollenkleidung, Verbandzeug, Arzneikräuter usw.), 
und zwar für die im Felde stehenden Soldaten, denen öfter eigene „Liebesgaben" 
auf Weihnachten ausgeteilt wurden, dann für die Kranken und Verwundeten, für 
die Kriegs-Witwen und -Waisen, für die notleidende Stadtbevölkerung und die 
Gemeindearmen, für Ausbringung der Mittel zur Rückbringuug der Gefangenen aus 
Rußland, zur Herhaltung der Kriegergräber usw. Manche Gemeindesammlungen 
wurden durch die Schulkinder mit gutem Erfolg vorgenommen. Hinsichtlich der 
Metalle mußten von solchen zuerst freiwillige Spenden gesammelt werden, dann aber 
kam Auftrag über Auftrag zur Ablieferung der metallenen Hausgeräte und schließlich 
auch der Kupferdachungen, der Kirchenglocken und Orgelprospektpfeifen. Es mußte 
1917 Kleinzell abgeben die fünf Turmglocken im Gesamtgewichte von 1865 Kilo- 
gramm, wobei per Kilo vier Kronen gegeben wurden; der Kirche verblieb nur mehr 
die kleine Sanktusglocke, auf dem Turme wurde ein Schienenschlagwerk eingerichtet. 
Die Orgelpfeifen waren ebenfalls 1917 zu liefern, sie wogen 60 Kilo und wurden 
pro Kilo 15 Kronen geleistet; insbesondere die Herabnahme der Kirchenglocken, 
welche die Pfarrgemeinde erst vier Jahre vorher in großer Opferwilligkeit neu an- 
geschafft hatte, versetzte die Bevölkerung in große Wehmut. 
Zu den Kriegswehen des Hinterlandes gehörten auch ansteckende Krankheiten, 
öffentliche Unsicherheit und die schreckliche Teuerung. Aus einem Militärspitale war 
behufs Kriegsanleihezeichnung ein Bruder der Bäuerin in Apfelsbach Nr. 7 beurlaubt, 
durch ihn aber in das genannte Haus die Ruhrkrankheit eingeschleppt worden, von 
der nun innerhalb 12 Tagen alle fünf Töchter (von 27-11 Jahren) der Familie 
dahingerafft wurden; zweimal starben je zwei unmittelbar nacheinander, während 
nämlich die einen den eben erfolgten Tod der anderen beweinten. Ohne eines 
Familiengrabes zu bedürfen, liegen nun diese fünf Schwestern in ununterbrochener 
Reihe auf dem Friedhöfe. (24. Juni bis 6. Juli 1917.) Es forderte die Ruhr noch 
weitere vier Todesopfer. Es trat auch die „spanische Grippe" auf, oft „Kriegsseuche" 
genannt, an der (1918 und 1919) vier Burschen von 17—22 Jahren und zwei 
Mädchen von 16—18 Jahren starben. 
Ein schwerer Kirchenraub geschah in Kleinzell 1918, durch den von un- 
bekannten Tätern die Festtagsmonstranze, ein Ziborium und Meßkelch, sowie noch 
kleinere Gegenstände in der Nacht vom 1.—2. April entwendet wurden. Im Jahre 
1919 drangen bewaffnete Männer nachts in das Haus Weiglsdorf Nr. 16 und 
Kleinzell Nr. 22 und plünderten unter Einschüchterung der Hausleute; die Täter 
im letzteren Hause konnten nachher aufgegriffen und der Bestrafung zugeführt werden. 
Auch sonst geschahen viele Diebstähle besonders an Haustieren, Eßwaren und Kleidern. 
Die Teuerung oder Geldentwertung stieg erst nach dem Kriege ins Riesige 
und erreichte den Höchstpunkt in der zweiten Hälfte 1922, als für eine Goldkrone 
15.000 Papierkronen gegeben werden mußten. Daraus ist die Höhe der Preise zu 
bemessen, wobei aber noch bemerkt werden muß, daß viele Industrieartikel und von 
den landwirtschaftlichen Butter und Eier im Vergleich zum Vorkriegspreis das oben 
erwähnte Verhältnis — man hörte öfter das Wort „Goldparität" — noch be- 
deutend überstiegen. 
So hat das Hinterland gearbeitet — einige Hilfe brachten Kriegsgefangene, 
wie solche (lauter Russen) auch in Kleinzell sich verschiedene Häuser hielten — 
gebetet, geopfert und gelitten und stand dabei mit den lieben Angehörigen im Felde
	        
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