Volltext: Sechstes Bändchen (6. 1916)

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sollte er sich plagen — für wen und warum sollte er anderen seine Eigenheiten 
opfern? Kümmerten sich ja auch andere Leute nicht um ihn, höchstens, daß sie 
ihn auslachten und das geschah auch genau dem Diogenes und doch war er ein 
berühmter Philosoph. In einem Stücke tat er doch vernünftiger als tausend 
andere; er hat nicht geheiratet und blieb Junggeselle sein Leben lang. 
Wozu denn auch? Er brauchte niemand, leider hat er es aber dadurch ebenso 
nicht zuwege gebracht, wie auch Diogenes nicht, daß damit für alle Zeit die 
Dummschädel ausgestorben wären. Doch zurück von dieser ungesunden 
Philosophie zur schönen Sonnleithen. — Der Dummschädel war ein Mann, der 
sich an den Kalender hielt, denn während er an Wochentagen seinem Vieh Heu 
und daneben ganze Strohschaub in den Baren legte und mit Steinen beschwerte, 
daß sie dieselben nicht herausreißen, sondern nur benagen konnten, schnitt er an 
Sonntagen den Schaub in zwei Stücke, damit auch das Vieh am Sonntag etwas 
besseres hatte. Stroh und Heu zu Gsott zu schneiden, hielt er für überflüssig, 
doch verstand er es, das Vieh gebührend zu belohnen, wenn es z. B. zur Zeit 
der Ernte tüchtig Zugdienste geleistet hatte; dann bekam es lauteres Heu. Am 
besten hatten es seine Lämmer, die sich auf den Gründen selbst verpflegten, 
während das Vieh in den Stallungen jämmerlich abmagerte. Er war auch wie 
alle Staatsbürger kein Freund des Steuerzahlens und bekam oftmals Exekution. 
In solchen Fällen ließ er die Amtspersonen einstweilen rasten, ging mit der Be- 
merkung, zuerst Geld machen zu müssen, klopfte etwas Getreide aus und offerierte 
es als Zahlung. Aus seiner Schlafstelle, welche er im Stadel hatte, wurde er 
schließlich durch den Umstand vertrieben, weil er mit der Zeit so in Verfall ge-- 
riet, daß überall der blaue Himmel durch die Ruinen der Dachung blickte und in 
den Wohnungen auf dem faulenden Boden Bäumchen wuchsen. Auch neue Kleider 
besorgte der Dummschädel nicht und er übertraf, was Genügsamkeit hierin anbe- 
langte, sogar den Mohammed. Seine Lederhose nämlich, die er an Sonn- und 
Feiertagen trug, kehrte er an Wochentagen um und trug sie so bis Samstag bei der 
Arbeit. Alle seine Verkehrtheiten aufzuzählen, wäre zu weitführend und es wäre 
Verdacht vorhanden, daß doch vieles erfunden sei. Nachdem das Haus schon 
ganz zur Ruine geworden, brachte er seine letzten Lebenstage bei seiner Schwester 
zu und starb am 6. Oktober 1870 an Magenerhärtung im Alter von 71 Jahren. 
Nach bei der Beerdigung auf dem Friedhofe in Ulrichsberg ging es verkehrt her. 
Der Totengräber hatte die Grube zu kurz gegraben und als der Sarg hiueinge- 
lassen wurde, kam der Kopf weit tiefer zu liegen als die Füße. Aus den Ruinen 
des Hauses steht jetzt ein Ansnehmerhäusel zum Hause Nr. 16 in Stollnberg ge- 
hörig. So sproßt auch dort neues Leben aus den Ruinen. 
 
Das Treanl-Annamirl. 
In den Jahren 1880 bis 1390, vielleicht schon länger vorher, sah man täg- 
lich in Haslach eine Weibsperson, von der niemand oder selten jemand sagen 
konnte, woher sie kam, daß sie aber schon dem Grabe zuging, konnte man dem sehr 
gebrechlichen, freundlichen, aber ebenso häßlichen Weiblein ansehen. Sie hatte ein 
trottelhaftes Aussehen, schielte, hatte einen so großen Sprachfehler, daß man ihre 
Rede kaum verstand und litt an beständigem Speichelfluß, was ihr den Namen 
„Treanl-Annamirl" einbrachte. Dieses Gebrechen war so arg, daß man ihr vom 
Herzen gerne glaubte, wie sie behauptete, daß sie nie im Leben einen Kuß gegeben, 
außer einem Geistlichen einen Handkuß — wenn einer es erlaubte; dann aber 
war sie freudig erregt bis zur Seligkeit. Das Weiblein war nämlich trotz ihres
	        
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