Volltext: Zweites Bändchen. (2. 1913)

— 38 - 
sagen, „betet für mich! Achtet auf euch und eure Kinder, auf daß niemand so 
unglücklich werde wie ich." Die hochwürdigen Herren Anton Lehner, Pfarrer in 
Hofkirchen, und sein Kooperator Adalbert Fiedler bereiteten sie zum Tode vor. 
Letzterer reichte ihr auch die heilige Wegzehrung. Am Tage ihrer Hinrichtung, es 
war der letzte Samstag im April, wurde ihr um 6 Uhr früh in Gegenwart einer 
großen Volksmenge unter lautloser Stille aus dem Platze vor dem Schlosse nochmals 
das Hofkirchen, vorgelesen. Meine Großmutter, Augen- und Ohrenzeugin, schilderte 
mir alles mit anschaulicher Detailbeschreibung, als ob es gestern gewesen wäre. 
„Zum Tode durch den Strang" hieß es und machte die Zuhörer erschauern; noch 
dazu sprach der Vorlesende die „r" ungewöhnlich scharf aus, etwa so: „Durrrch 
den Strrrang" — hart und scharf legten sich seine Worte auf die Nerven. Die 
Verurteilte bestieg gefaßt das Gefährte zur letzten Reise. An ihrer Seite nahm 
der geistliche Herr Platz und sprach zu ihr Worte des Trostes und mit ihr die Gebete 
für die Sterbenden. Die begleitende Menschenmenge betete laut den Rosenkranz wie bei 
einem Leichenbegängnisse. Zum Hochgericht auf der „Scheib'n" war's fast eine halbe 
Stunde zum Fahren. Eine Unmenge Volkes war da von weit und breit. Wo jetzt 
die Vogelbeerbäume stehen, waren damals Pappeln, sie waren zum Teil von Neu¬ 
gierigen, die hinaufgeklettert waren, besetzt. Eine etwas schief stehende Birke brach plötzlich 
unter der Last der auf ihr Befindlichen krachend zusammen. Militär hielt die 
Ordnung aufrecht. Auch der Pfarrer war da, um mit seinem geistlichen Mitbruder 
der Armen beizustehen und ihr das letzte Geleite zu geben. Endlich hielt der 
Wagen und der Weg querfeldein zum Galgen mußte zu Fuß zurückgelegt werden. 
Man hörte die Priester beten in ergreifenden Anrufungen und Stoßgebeten. 
Katharina, welche in ihrer Mitte schritt, trug in den Händen das Kästchen mit 
dem Almosen auf heilige Messen für ihre Seelenruhe. Wo meine Großmutter 
stand, blickte sie mit einemmal seitwärts, sie hatte Bekannte gesehen und nickte 
ihnen tieftraurig zu. Sofort mahnte sie jedoch der Pfarrer: „Bleibe gesammelt! 
Denk an dein Seelenheil!" Und erschütternd drangen die Anrufungen, welche die 
Priester vorbeteten, in die Herzen aller Hörer. Endlich langte man am Galgen an 
und der Nachrichter vollführte das ihm obliegende grause Zerstörungswerk an einem 
blühenden Menschenleben. Auf einer Leiter hinter der Delinquentin stehend warf 
er ein weißes Tuch über deren kreidebleiches Antlitz und wie er ihren Kopf nieder- 
beugte und etwas um die Achse drehte, während seine Gehilfen Arme und Füße 
der Hängenden niederzogen, wollten die Nächststehenden ganz deutlich das Knacken 
der Glieder vom Galgen her gehört haben. Der Henker soll zuvor in den glatten 
Verlauf der Hinrichtung Zweifel gesetzt haben, da die Mühleder, die sonst eine 
hübsche Person war, einen etwas dicken Hals hatte. Aber was blieb ihm zu tun 
übrig? Nach einer bangen Minute hub einer der Geistlichen, welcher, weiß ich nicht 
mehr, vom Hochgerichte aus zu sprechen an: die Gerichtete sei reumütig und bu߬ 
fertig gestorben und in ihrem Namen bitte er, daß niemand aus ihrem Verbrechen 
Antrieb zum Bösen empfange. — Da kam die Schau- und Schauderlust der Tau¬ 
sende nochmals auf ihre Rechnung. Denn auf einmal durchzuckte den Körper der 
frei Dahängenden ein Krampf der Muskeln und Sehnen, als wollte er noch un¬ 
gebrochenes Leben vortäuschen, und behende wie ein Affe eilte der Henker aufs 
neue die Leiter hinan, die er gerade verlassen hatte, und hantierte aufs neue da 
oben herum zum Entsetzen der Tausende, durch deren Reihen es wie Angstgestöhn 
ging. Und dann betete die Menge auf dem weiten Felde „Vater unser" und „Herr, 
gib ihr die ewige Ruhe" für die Seele, die nun vor dem Gerichte Gottes stand. 
Gegen Abend hat man dann die Leiche im nahen Gehölze verscharrt. — Das war
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.