Volltext: Zweites Bändchen. (2. 1913)

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Es folgt noch ein Chronogramm, das mir nicht in der Erinnerung geblieben ist, 
aber gewiß unschwer von anderer Seite in diesen Blättern mitgeteilt werden könnte. 
Obige Inschrift steht in der baumurnschatteten -Johanneskapelle neben dem Schlosse 
Marsbach hart an der Straße, die zur Donau führt. 
* 
Volksrätsel. 
(Von Johann Mayrhofer in Haslach und Gottfried Vielhaber.) 
Das Rätsel ist eine der allerältesten Literaturgattungen. Die Naturvölker 
(die Bezeichnung „Wilde" wird von der modernen Wissenschaft mit Recht abgelehnt) 
kleiden ihre aus der Erfahrung und Beobachtung geschöpften naturwissenschaftlichen 
Kenntnisse nicht selten in die Form des Rätsels, das sich sogar bei den sogenannten 
„Kulturlosen" findet. Da die germanische Religion von Haus aus Naturreligion 
war, ihre Götter- und Heldengestalten personifizierte Naturkräfte sind, so ist es 
klar, daß gerade das altgermanische Rätsel mythologischen Hintergrund hat. Unser 
deutsches Rätsel knüpft sich aber auch in überaus sinnfälliger Weise an alle Gebiete 
und Gegenstände des menschlichen Lebens und Wissens. Die Hauptaufgabe beim 
Rätsel gleich viel, ob älteren oder jüngeren Ursprungs, ist, daß durch die Lösung 
Verstand und Witz geschärft und geübt wird. Unser Volk hat eine besondere Freude 
an diesem Spiele des Geistes und der Laune, das manchmal auch den Spott nicht ganz 
verschmäht. Eines der ältesten Rätsel unseres Stammes, das sicher noch in die 
indogermanische Zeit zurückgeht, ist das bekannte: 
 
„Es kam ein Vogel federlos, 
Saß auf den Baum blattlos 
Da kam die Jungfer mundlos 
Und aß den Vogel federlos 
Von dem Baume blattlos." 
(Der Schnee, der von der Sonne auf dem kahlen Baume ausgezehrt wird.) 
Mindestens der urgermanischen Zeit gehört ein anderes Naturrätsel an, das man 
gleichfalls jetzt noch in den verschiedensten Gauen Deutschlands unter dem Volke antrifft: 
 
„Vier gehen, vier hangen, 
Zwei weisen den Weg, zwei wehren den Hunden, 
Einer schleppt hintennach alle Tage, 
Der ist allzeit schmutzig." 
(Die Kuh mit ihren vier Füßen, ihren vier Euterzizen, den zwei Angen 
und Hörnern und dem Schwanze.) 
Ein anderes weit verbreitetes Rätsel ist folgendes: 
„Gott sieht's nie, der Kaiser selten, 
Doch alle Tage der Bauer Velten (Valentin)." 
Die Auflösung ist leicht. Sie lautet: „Seinesgleichen." 
Dieses Rätsel dürfte bereits der christlichen Zeit angehören, wie denn überhaupt 
nicht wenige Volksrätsel Gegenstände ans der biblischen Geschichte behandeln. Vielfach 
sind uns Rätselfragen, die offenbar deutschen Ursprungs sind, in lateinischer Sprache 
überliefert, jedoch so, daß sachlich der deutsche Untergrund noch durchschimmert. Ein 
Beispiel dieser Art.: 
 
„Sieht man's, so läßt man's liegen; 
Sieht man's nicht, so hebt man's auf." 
(Der Wurmstich in der Haselnuß.)
	        
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