Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

nen kann, aber das ist nickt der Fall und das Schlimmste 
ist, wenn sie schweigen oder andere Ziele verfolgen als sie 
sagen.“ Es liegt in dieser Äußerung Franz Josephs gewiß 
sehr viel Naivität aber auch ein Beleg dafür, daß er damals 
angefangen hat, sich mit den politischen Parteien ernst¬ 
lich zu befassen und zu ergründen, was eigentlich hinter 
diesem ganzen „fortschrittlichen Phänomen“ stecke. Franz 
Joseph hat es dann in den vielen Jahren seiner Regierung 
auf diesem Gebiete zu einer praktischen Kenntnis der 
Parteien und ihrer Führer gebracht, die seine Minister 
später oft in gerechtes Erstaunen versetzte. Nur die An¬ 
fänge dieses Studiums sind ihm wohl nicht sehr leicht 
geworden. Im übrigen hatte der junge Kaiser sich schon 
durch seine ständige Teilnahme am Ministerrate ein gro¬ 
ßes Maß von Kenntnissen in allen staatlichen Geschäften 
erworben. Als er im Jahre 1863 den in Frankfurt am Main 
versammelten Königen, Großherzogen, Herzogen und Für¬ 
sten der deutschen Nation, die den Bund bildeten, präsi¬ 
dierte, setzte er die hohen Herren und ihre sie begleitenden 
Staatsmänner durch die Gewandtheit und Sicherheit in 
großes Erstaunen, mit der er der erlauchten Versammlung 
stundenlang präsidierte, die Geschäftsordnung sozusagen 
improvisierte und dabei zielbewußt seine großen Pläne 
förderte. 
Die Unhaltbarkeit des in der westlichen Reichshälfte 
geschaffenen Verfassungsregimes trat sehr schnell in ver¬ 
schiedenen Richtungen hervor : nicht nur die Sezession 
fast aller slavischen Abgeordneten, sondern auch die 
immer stärker hervortretende Opposition eines großen 
Teiles der deutschen Verfassungspartei gegen die Regie¬ 
rung erschütterte das Vertrauen des Kaisers zu Schmer¬ 
lings Erfolg. Dagegen hatte der Minister Graf Esterhazy 
bei ihm sehr bald den größten Einfluß gewonnen. Er ist 
jedenfalls eine der merkwürdigsten Persönlichkeiten unter 
allen früheren oder späteren Ministem des Kaisers ge¬ 
wesen. Ein Mann von ungewöhnlicher Bildung und von 
einer durch ein Übermaß analytischer Fähigkeiten zeit¬ 
weilig sterilisierten Geisteskraft. Dabei von melancholi¬ 
scher Veranlagung und nicht frei von Anzeichen der tat¬ 
sächlich bei ihm später eingetretenen Geistesverwirrung. 
Verhängnisvoll war bei diesem Ratgeber Franz Josephs, 
daß er gerade in den damals so schwankenden Verhält- 
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