Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

Franz Joseph stand inmitten dieses, zu seinem Leid¬ 
wesen entfesselten politischen Getriebes mit seinem er¬ 
staunlichen Gleichmut ruhig aber doch unentschlossen: 
den ungarischen Magnaten traute er gar nichts Gutes zu, 
ihren österreichischen Standesgenossen gegenüber hielt 
er an den Anschauungen fest, die ihm die Geringschätzung 
Schwarzenbergs, was die politischen Fähigkeiten des Hoch¬ 
adels betraf, vermittelt hatte. Yon Rechberg und Golu- 
chowski als Staatsmännern hatte er keine hohe Meinung; 
schließlich erregten in ihm die Pläne zur Ersetzung des 
kaiserlichen Beamtenapparates in der westlichen Reichs¬ 
hälfte durch ein neues „Selfgovernment“ die schwersten 
Bedenken, welche die ihm jetzt näherkommenden hohen 
Beamten, vor allem der provisorisch als Finanzminister be¬ 
rufene Ignaz von Plener, in den Ministerkonferenzen und 
Audienzen erheblich verstärkten. Auch war Erzbischof 
Rauscher solchen Plänen vollkommen abhold. Denn er 
wollte im Interesse der Kirche die kaiserliche Autorität 
in der Verwaltung den Völkern gegenüber unversehrt er¬ 
halten. Im August hielt Franz Joseph mehrere Tage lang 
sehr gründlich vorbereitete Konferenzen mit den Führern 
der beiden Adelsparteien im Schlosse Schönbrunn ab, kam 
aber noch nicht zu einer Entscheidung. 
Mitten in diesen Zweifeln und Kämpfen tat Franz Jo¬ 
seph für die innere Politik genau dasselbe, was er ein 
Jahr vorher in der Außenpolitik getan hatte: er wurde 
ungeduldig und durchhieb den Knoten, indem er sich 
plötzlich dazu entschloß, das Programm der Altkonser- 
vativen anzunehmen. So befahl er denn dem Grafen 
Szecsen, die zu diesem Zwecke erforderlichen kaiserlichen 
Erlässe und Handschreiben, sowie das in Aussicht ge¬ 
nommene „Diplom“ auszufertigen. Der Kaiser war aber 
ungeduldig, weil er am 21. Oktober nach Warschau fahren 
wollte, um dort mit dem Zaren und König Wilhelm von ( 
Preußen wichtige Unterredungen zu pflegen. Vorher aber 
sollte unbedingt noch die „Reichsfrage“ in aller Schnellig¬ 
keit und endgültig gelöst werden. So mußte denn der Graf 
Szecsen binnen 24 Stunden die ganze riesige Arbeit leisten. 
Ein sehr vorsichtig stilisiertes Diplom, das von nun an 
als Staatsgrundgesetz des Reiches gelten sollte, und zwei 
Dutzend weiterer „allerhöchster Erlässe“ an eine ganze 
Anzahl von Ministern und gleichzeitig ernannten unga- 
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