Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

regend und zielweisend auf die Unzufriedenen in den 
Wiener Intelligenzkreisen zurück. Schon begann man dort 
das doch noch immer in den Formen mittelalterlicher 
Politik sich abspielende öffentliche Leben als einen wenn 
auch unvollkommenen Ausdruck der politischen Freiheit 
anzusehen. 
Dieser ganze Prozeß der inneren Zersetzung und schritt¬ 
weisen Auflösung des franzisceischen Österreich in den 
drei Lustren nach des Kaisers Tode ging nun so vor sich, 
daß dabei die eigentliche raison d’etre des ganzen Reiches, 
die Dynastie, sich nach außen hin ganz passiv verhielt. 
Die Brüder des Kaisers Franz wurden von ihm geflissent¬ 
lich von jeder Teilnahme an der Politik möglichst fern¬ 
gehalten. Sie gestalteten ihr Leben ganz nach ihren pri¬ 
vaten Interessen. Erzherzog Karl, der einzige militärisch 
erfolgreiche Prinz des Hauses, verwaltete sein riesiges 
Vermögen und die ihm durch Erbschaft zugefallenen 
Kunstschätze. Erzherzog Johann, ein Mann von geistigen 
Interessen und vielseitiger Bildung, lebte in Graz und 
förderte dort vielfach Wissenschaft, Technik und Kultur 
in der grünen Steiermark. Erzherzog Ludwig, wie vorhin 
schon bemerkt, fungierte als „Willensersatz“ für den 
schwachsinnigen Kaiser, der selbst, wie Kübeck in seinen 
Memoiren sich ausdrückt, dooh nur als „kaiserliches Sym¬ 
bol“ gelten konnte. Erzherzog Franz Karl gefiel sich 
darin, die Tradition der Gemütlichkeit und des bürgerlich 
einfachen Gehabens seines Vaters fortzusetzen. Er liebte 
es, mit jedermann aus dem Volke sich frei zu unterhalten, 
war auch mit zahlreichen Persönlichkeiten des Wiener 
Bürgertums in guter Fühlung und besaß tatsächlich einen 
gewissen liberalen Grundzug in seinem Wesen, der nur 
durch die ihm eigene Willensschwäche zu keinen prak¬ 
tischen Wirkungen zu gelangen vermochte. Daneben gab 
es in verschiedenen Teilen des Reiches noch alte und 
jüngere Erzherzoge von den ungarischen und italienischen 
Linien des Erzhauses. Am ganzen Hofe war unter allen 
diesen „Fürstlichkeiten“, wie ein zeitgenössischer Beob¬ 
achter es ausgedrückt hat, nur ein einziger Mann — die 
Erzherzogin Sophie. Sie war die einzige willensstarke Per¬ 
sönlichkeit, die am Wiener Hofe den Greisen der Staats- 
konferenz gegenüberstand. Bis zur Gegenwart ist so wenig 
Zuverlässiges über die Erziehung der Erzherzogin Sophie, 
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