Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

abends die wichtigsten Staatsdokumente, Akten, Denk¬ 
schriften sozusagen nachliefen, da er beständig Kaiser und 
Könige, Erzherzoge, Großherzoge und Eürsten empfing, täg¬ 
lich mit Ministern, Botschaftern, Generälen, wie er selbst oft 
zu hören bekam, über die schwierigsten und größten Pro¬ 
bleme des staatlichen und internationalen Lebens nach¬ 
zudenken, zu sprechen und zu entscheiden hatte, wie sollte 
er da Zeit finden, sich auch um das wirkliche Leben 
seiner Völker, auch nur um seine wichtigsten Erscheinun¬ 
gen, kurz um das „nicht aktenmäßige Leben“ zu küm¬ 
mern? Das Schlimmste dabei war nur, daß dieser junge 
Mann, an dem soviel europäisches Schicksal hing, diese 
Zeit eben nicht gefunden hat, um die großen Lücken 
seines Wissens um Dinge und Menschen außerhalb seiner 
engeren Berufsatmosphäre sozusagen dadurch auszufüllen, 
daß er sich frei von seinem hohen Amte in der Welt um¬ 
gesehen hätte, in seinen eigenen Ländern und in Deutsch¬ 
land, dessen erster Fürst er doch war. Für Franz Joseph 
wäre das um so wichtiger gewesen, als er nach seiner 
Naturanlage nur durch praktische Erfahrung zu lernen 
imstande war. Denn ihm fehlte jede Begabung zu theo¬ 
retischen Studien. Seine rein geistigen Interessen waren 
zu schwach dazu, von Kunst und Literatur hielt er sich 
immer fern und mochte immerhin damit ganz zufrieden 
sein, daß ihm, dem jungen Herrscher, niemand mit sol¬ 
chen Dingen, die weit abseits von ihm lagen, kommen 
konnte. Sein Beruf war die Tat, das wußte er klar und 
tief in seinem Inneren und er ließ sich darin nicht be¬ 
irren. Er hatte ein Hüter und Mehrer der Macht des Erz¬ 
hauses zu sein und zu diesem Ende hatte er die Länder 
und Völker zu regieren: das hieß für ihn soviel als die 
Menschen vor den Verführungen der Revolution mit Um¬ 
sicht und Strenge zu bewahren, im übrigen für das Beste 
aller Stände zu sorgen, wie es ihm seine Ratgeber und 
Minister zeigten und nach unabhängiger Prüfung ihrer 
Ratschläge. Was für den Beruf des bildenden Künstlers 
die Farben oder der Marmor, was für den Dichter die 
Worte und Gedanken, das waren für den unbeschränkten 
Herrscher als Träger des höchsten irdischen Berufes Ent¬ 
schlüsse und Verfügungen über alles das, was für das Ge¬ 
meinwohl notwendig war. Entschlüsse und Verfügungen 
waren das Werkzeug der Staatskunst, wie er sie sah.' 
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