Volltext: Kaiser Franz Joseph von Österreich

können, wenn er aus eigenem Wissen oder durch einen 
großen Staatsmann als Ratgeber über das Wesen der 
europäischen Verhältnisse aufgeklärt seine innere Politik 
sowohl in Ungarn wie in Österreich grundsätzlich ge¬ 
ändert und als liberaler Fürst nun auch die Führung 
Deutschlands in die Hände genommen hätte gegen die 
damals in Preußen und Deutschland noch sehr verhaßte 
russophile Politik des Ministeriums Manteuffel und der 
„Kreuzzeitungspartei“, die den in seinen krausen Gedanken¬ 
gängen unberechenbaren König von Tag zu Tag und 
von Jahr zu Jahr mehr und mehr beherrschte. Allerdings, 
solche Argumentation kann nicht einen Augenblick ernst¬ 
haft verfolgt werden, weil eben deren Voraussetzung nie 
vorhanden gewesen ist: nämlich ein junger Kaiser von 
Österreich, der seine Zeit und die Welt, in der er lebte, 
so angesehen hätte, wie sie sich den liberal-denkenden 
Zeitgenossen in ganz Europa darstellte. Ebensowenig war 
damals auch ein preußischer Hohenzoller vorhanden, der 
zu solcher Wendung preußischer und deutscher Politik 
befähigt oder gewillt gewesen wäre, obgleich der preu¬ 
ßische Thronfolger Prinz Wilhelm gerade während des 
Krimkrieges ein gutes Stück nach -links von der alten 
Hohenzollerntradition abrückte und gegen die Vorherr¬ 
schaft Rußlands und seinen diese immer anerkennenden 
Bruder heftig opponierte. So klaren politischen Weitblick 
haben Monarchen im alten Europa des 19. Jahrhunderts 
nie gehabt. Preußen hat hundert Jahre früher Friedrich II., 
den einzigen gekrönten Staatsmann ersten Ranges ge¬ 
habt, aber eine Vererblichkeit der politischen Begabung 
ist in den Dynastien nie wahrnehmbar gewesen. Gewiß 
gab es schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts einen preu¬ 
ßischen Edelmann, der in der Politik mitwirkte und die 
Möglichkeiten, Rußland von der Mitte Europas aus zurück¬ 
zudrängen, sehr klar voraussah, doch aber damals schon 
zur Erkenntnis kam, daß vom konservativen und preußi¬ 
schen Gesichtspunkt die richtige Politik gerade in dem 
Gegenteil gelegen wäre, nämlich darin, Rußlands Macht 
durch die Westmächte zwar augenblicklich einschränken 
zu lassen, im übrigen aber die Freundschaft der Zaren dem 
Berliner Hof zu erhalten, um sie für die Entscheidung der 
deutschen Frage gegen Österreich im richtigen Augenblick 
ausnützen zu können. Hatte doch Preußen seine Niederlage 
164
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.