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Zustände im türkischen Lager.
von Statten gingen, erschien der Großvezier persönlich bei den Bauten
und Gefechten. — Als aber der Sultan den Ali-Aga ins Lager
gesendet hatte, um sich von den Ursachen der bisher erfolglosen An
griffe durch eigenen Augenschein zu überzeugen und dem Großvezier
einen rascheren Fortgang der Unternehmung dringend anzuempfehlen,
beeiferte sich Kara Mustapha, sein Versäumniß nachzuholen und
möglichst gut zu machen, lind überwachte nun selbst alle Arbeiten und
Gefechte. — Bald bestieg er den Thurm von St. Ulrich, oder kam
in die durch Erdaufwürfe geschützten Lagerstellen, bald ließ er sich in
seiner ganz geschlossenen, mit eisernen Platten wohlverwahrten Sänfte
im Lager herumtragen, belohnte und strafte alsogleich nach seiner
Weise und tödtete eigenhändig die Feigen mit seinem Säbel. Endlich
ließ er sich selbst im Laufgraben einen bombenfesten Platz ausgraben,
worin er sich den Tag über aufhielt, um unausgesetzt den Arbeiten
nachsehen zu können.
Seit ihn der Tschau sch des Großherru, achselzuckend über
die geringen Fortschritte der Belagerung, verlassen hatte, führte Kara
Mustapha persönlich das Commando der ganzen Angrifssoperationen.
Gegen den Rath seiner Unterbefehlshaber hatte der Großvezier als
Angrisfsseite Wiens jenen Befestigungsabschnitt gewählt, der
sich zwischen dem Burg- und Schottenthor befindet, statt die
Seite gegen die Leopoldstadt, welche Wiens fortificatorisch schwächster
Punkt war, und wo nur die Donau die Verstärkung der Stadt
mauern bildete. — Die ersten Arbeiten der Türken bestanden in
Laufgräben und in der Errichtung der diese Arbeit deckenden und
gegen die Geschütze der Stadt zu wirken bestimmten Batterien. —
Ihre Laufgräben führten sie weder nach den Regeln der Belngerungs-
kunst, noch in den kürzesten Linien aus, und deckten deren Enden nicht
durch Redouten und Flankenwerke. Meist bauten sie dieselben mit
dem belagerten Orte parallel und in krummen Querlinien, die sie
hinter einander vermehrten. Dieselben waren tief und weit angelegt,
aber nicht gleichmäßig gebaut, gewöhnlich fünf bis sechs Fuß breit
und nahezu sieben Fuß tief, so daß man bequem darin stehen konnte.
Zum Bau wurden fast immer gefangene Christen verwendet, die man
durch Hiebe auf die Fußsohlen dazu zwang und überhaupt schlecht und
grausam behandelte.