Volltext: Lauriacum

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Erich Swoboda 
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auch im Westen, und hier in der ersten Hälfte 
dieses Jahrhunderts umfassender und tiefer als 
je zuvor, die irrationalen Kräfte der verschiede¬ 
nen orientalischen Mysterien eine gewaltige 
Wirkung und trieben die Erlösungssehnsucht 
des Menschen in alle Schichten synkretistischer 
Verquickung61). Jupiter, Iuno und Minerva, 
ceteri dii deaeque, Genii centuriae und legionis, 
die Dioskuren (RLiÖ X 109 f.; XI 128. 051 f.; 
XIII 262. 264), Fortuna, Mars, Mercur, Venus, 
Isis, Osiris und Sarapis, Sol und Luna, deren 
Idole das Ennser Museum bewahrt (unpubl.), 
sowie Mithras, worauf die Bruchstücke eines 
Schlangengefäßes (RLiÖ XI 48) mit Wahr¬ 
scheinlichkeit zu schließen gestatten, und Iupiter 
Dolichenus, der zweifellos auch in Lauriacum 
verehrt wurde (reicher Fund eines Tempelinven¬ 
tars im benachbarten Mauer-Öhling, unpubl.), 
geben uns ein schwaches Abbild des schillern¬ 
den Pantheons in der Grenzfestung62). Noch 
unter Philippus Arabs war die Zahl der Christen 
im Reiche, so berichtet uns Origines (c. Cels. 
VIII 69), verschwindend klein, und Harnack, 
Mission und Ausbreitung des Christentums II3 
S. 343 erachtet es als ein müßiges Beginnen, für 
die Mitte des 3. Jahrhunderts die Frage nach 
dem Prozentsatz der Christen in der Gesamt¬ 
bevölkerung zu stellen. Je stärker aber die all¬ 
61) J. Toutain, Les cultes pai'ens dans l’empire 
Romain II 1911, 227 ff.; J. Geffcken, Der Ausgang 
des griech.-röm. Heidentums, 1920, S. 20 ff.; W. 
Weber, Probleme der Spätantike, 1930, S. 83 f.; F. 
Cumont, Die oriental. Religionen im röm. Heiden¬ 
tum, 1931, S. 18 ff. 178 ff.; zur feindseligen Beurtei¬ 
lung des Christentums vgl. Harnack, Gesch. d. alt- 
christl. Literatur I 2, S. 865 ff. 
62) Zu den Religionen in Noricum im allgem. 
vgl. Polaschek, R. E., XVII 1, 1936, s. v. Noricum, 
Sp. 1015 ff.; zur Schlange im Mithraskult s. Swo¬ 
boda, Österr. Jahresh. XXX, Hauptbl., S. 1 ff. 
63) Vgl. P. J. Healy, The Valerian persecution, 
1905, S. 266 ff.; Harnack, R. E. für protestantische 
Theologie VI, Sp. 353 ff.; Euseb. hist. eccl. VII 13. 
64) Die glänzende Schilderung freilich, die 
Euseb. hist. eccl. VIII 1, 1 ff. von dem ungetrübten 
Nebeneinander von Staat und Kirche vor der dio- 
cletianischen Verfolgung gibt, von der Verkündung 
des Wortes Gottes Tcapa Ttaaiv avO-pamois, von den 
christlichen Hofbeamten und Statthaltern (vgl. Lact. 
gemeine wirtschaftliche Verelendung in der 
zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts das Gefüge 
des Staates erschütterte und je mehr die Zentral¬ 
gewalt ihre ganze Sorge der Sicherung der 
Reichsgrenzen zuwenden mußte, umso un¬ 
gehinderter konnte, wie überall im Reiche, 
auch in den Donaulandschaften die neue Lehre 
Wurzel fassen. So begann denn seit Gallienus, 
der die Edikte Valerians sistierte, die Bischöfe 
mit huldvollen Briefen bedachte und die Wieder¬ 
aufnahme des Kultes gestattete63), jenes Men¬ 
schenalter der Friedenszeit, in dem das Christen¬ 
tum, wenn auch noch keine religio liciia, so 
doch als tolerierte Korporation neben dem 
Heidentum auf lebte 64). Nach wie vor aber war 
die Lage der Kirche eine prekäre, an Wille und 
Nachsicht der Kaiser und Statthalter gebunden, 
solange nicht ihre Rechtsstellung als politisches 
Problem erkannt war, was bekanntlich erst von 
Constantin als solches gewertet wurde65). An 
dieser Unsicherheit liegt es wohl, daß uns, ob¬ 
gleich christliche Zellen in Noricum ripense 
zweifellos schon in der zweiten Hälfte des 
3. Jahrhunderts bestanden haben66), erst für 
das beginnende 4. Jahrhundert im Martyro- 
logium Hieronymianum und in der Passio 
Floriani67) literarische Zeugnisse christlichen 
Ursprungs vorliegen, monumentale Denkmäler 
de märt. persec. XII 1), von den Kirchen, die sich in 
allen Städten für die Menge der Bekehrten als zu 
klein erwiesen, ist, auch für die östl. Reichshälfte, 
übertrieben, apologetisch, nicht historisch. Zu ähn¬ 
lichen Behauptungen hatten sich schon vorher lustin. 
dial. c. Tryphon. 117 und Tertull., ad Scapul. II ver¬ 
stiegen. 
65) Vgl. Ed. Schwartz, Kaiser Konstantin und 
die christliche Kirche, 1913, S. 66 ff. 
66) Es entspricht der Logik der Situation, daß 
sich die Zahl der Christen mit dem hl. Florian, der 
IV Non. Mai. 304 in Lauriacum das Martyrium er¬ 
litt, nicht erschöpft. 
67) Mart. Hieronym.: L. Duchesne, AA. SS. II 
1894. H. Quentin-Delehaye, ebd. II 2, 1931. B. 
Krusch, Neues Archiv XXVIII 1902, S. 343; Pass. 
Flor.: B. Krusch, Neues Archiv XXVIII 1902, S. 386ff 
(verbesserte Lesung); das sind die einzigen literari¬ 
schen Quellen christl. Provenienz, die für Noricum 
rip. in Frage kommen (zu den Fälschungen der 
Passauer bischöflichen Kanzlei vgl. Dümmler,
	        
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