Volltext: Conrad von Hötzendorf

CONRADS NEIGUNGEN 
Die Neigung zur Malerei, die Conrad als Knabe zurückgedrängt 
hatte, um sich voll dem Soldatenberuf widmen zu können, lebte 
nun wieder auf. Er hatte schon vor dem Kriege die Gewohnheit, 
seiner Gattin von allen Reisen Landschaftsskizzen zu senden, die 
allmählich zu einer wertvollen Sammlung anwuchsen. 
Daß Conrad die Feder meisterhaft beherrschte, ist bekannt. 
Diese Kunst beschränkte sich nicht auf militärische Themen: 
eine deutsche Schriftstellerin hat seine Prosaschilderungen für 
beste Epik erklärt. In diese Zeit fällt auch die Niederschrift 
zahlreicher Aphorismen und philosophischer Betrachtungen, die 
von dem gewaltigen Umfang der Geisteswelt Conrads Zeugnis 
geben. 
Die militärische Fachliteratur hat er stets eifrig verfolgt. Für 
sonstige lesenswerte Bücher blieb ihm wenig Zeit übrig. Sein 
Wesen war mehr auf das Schaffen als auf das Suchen nach frem¬ 
den Meinungen eingestellt. Gedanken, die ihm wertvoll er¬ 
schienen, pflegte er sofort in Worte zu kleiden. Die Schrift floß 
ihm bewunderungswürdig rasch aus der Feder; er besaß eine 
meisterhafte Fähigkeit, sich kurz und klar auszudrücken. 
Für Musik war Conrad gleichfalls sehr empfänglich. Seine 
zweite Frau, eine begabte Klavierkünstlerin, hat durch ihr glän¬ 
zendes Spiel viele seiner bitteren Gedanken verscheucht. 
In die scheinbare Ausgeglichenheit, die Folge des ungestörten 
Genusses der Natur und des regen geistigen Verkehres mit seiner 
Gemahlin, mengte sich in den letzten Jahren ein Conrad fremder 
Zug: die Neigung zu einer skeptischen Weltanschauung. Sie war 
eine natürliche Folge der vielen Enttäuschungen, vielleicht 
schon ein Anzeichen der nahenden Krankheit, und stand in 
scharfem Gegensatz zu Conrads bewußtem, kraftvollem Wesen 
in der Zeit seines Aufstieges. 
Immer mehr begann er den Lehren zuzuneigen, die das Erden¬ 
wandeln des Menschen nur als kurze Phase in dessen Dasein 
ansehen und das Werden und Vergehen von Menschen und Völ¬ 
kern als das Werk des Schicksals werten, dessen Walten wir 
nicht zu erfassen vermögen. Diese Philosophie, zu der er sich 
erst spät bekannte, entsprang nicht seinem ureigenen Wesen. 
Sie war der Ausdruck des Ringens nach seelischem Gleichge¬ 
wicht, nachdem sein Lebenswerk vernichtet schien. Daß diese 
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