Volltext: Conrad von Hötzendorf

KRIEGSFANFARE 
Man muß in den Annalen der Geschichte weit zurückblättern, 
um ein Analogon für diese Herausforderung zu finden. Als Na¬ 
poleon III. im Jahre 1859 seine berüchtigte Neujahrsrede hielt, die 
als Ankündigung des Krieges gegen Österreich galt, sprach der 
„Kaiser der Franzosen“ nicht so aufreizend wie 1914 der „Bür¬ 
ger Poincare“. Von dem Augenblick an, da dieser Demagoge 
neben dem Beherrscher von 180 Millionen Reußen am Heck der 
kaiserlichen Jacht saß, beherrschte er die Unterhaltung. Beim 
folgenden Galadiner lauschte die ganze illustre Gesellschaft sei¬ 
ner frei, mit Stentorstimme gesprochenen Erwiderung auf die 
schüchtern verlesene Begrüßungsrede des Zaren. Der glänzende 
Saal vibrierte in Kriegsstimmung, als der Präsident der Fran¬ 
zösischen Republik endlich die langersehnte Waffengemeinschaft 
mit Rußland zusicherte. Sein Freund Paleologue, der franzö¬ 
sische Botschafter in Petersburg, äußerte sich begeistert hiezu: 
„So sollte ein Autokrat sprechen!“ 
Der geschickteste „metteur en scene“ hätte kein packenderes, 
die Kraft des menschlichen Geistes besser bezeichnendes Bild 
stellen können als diesen unscheinbaren Mann im Frack inmit¬ 
ten der jahrhundertealten Pracht, der goldstrotzenden Unifor¬ 
men, der kostbarsten Juwelen der Welt, der dem autokratischen 
Beherrscher des mächtigsten Reiches der Erde seinen Willen 
aufzwang, ihn seinen ehrgeizigen Plänen unterwarf. Wie eine 
Kriegsfanfare klangen beim Empfang des diplomatischen Korps 
die Worte Poincares an den österreichisch-ungarischen Botschaf¬ 
ter Grafen Szapäry: „La Serbie a des amis chauds dans le 
peuple russe, et la Russe a une alliee — la France!“ („Serbien 
hat warme Fremide im russischen Volk und Rußland hat einen 
Verbündeten — Frankreich!“) 
Es ist interessant, einen Kronzeugen in der Kriegsschuldfrage 
aus dem Lager der neutralen Mächte zu hören. Der ehe¬ 
malige spanische Botschafter am russischen Hof, Graf Cartagena, 
hat während der Zeit seiner Tätigkeit in St. Petersburg Auf¬ 
zeichnungen geführt, die nach seinem Tode zum Teil im „Boletin 
de la Accademie de la Historia“ verlautbart wurden. In diesen 
wird zunächst bestätigt, daß unter dem Einfluß des französischen 
Generalstabes, der die geringe Leistungsfähigkeit der russischen 
Aufmarschbahnen kannte, schon im April 1914 Truppenbewe¬ 
218
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.