Volltext: Conrad von Hötzendorf

ORIENTIERENDE AUSSPRACHE 
Conrad war nicht wenig erstaunt. Der Erzherzog hatte in der 
Zwischenzeit seine Soldaten auf der Straße beobachtet und hatte 
dann die Kaserne besichtigt, um sich ein Urteil über die innere 
Ordnung im Regiment zu bilden. Auch bei der Übung am fol¬ 
genden Tag fand der Erzherzog nur Worte des Lobes. Dieses 
erste dienstliche Zusammentreffen mit Conrad hatte beim Thron¬ 
folger einen ausgezeichneten Eindruck hinterlassen. 
Im Jahre 1901, als Conrad die 55. Infanteriebrigade in Triest 
befehligte, sah er ihn bei der Inspizierung der um Rakek üben¬ 
den 28. Infanterietruppendivision wieder. Conrad kommandierte 
die „schwächere“ Partei. Auch diese Prüfung fiel zu seinen 
Gunsten aus. Der Erzherzog verabschiedete sich von ihm mit 
besonders warmen, anerkennenden Worten. 
Im Herbst desselben Jahres war Conrad als Schiedsrichter 
bei den Kaisermanövern in Südwestungarn eingeteüt. Er war 
in Baksa, etwa vier Kilometer vom Standorte des kaiserlichen 
Hauptquartiers, untergebracht. Gegen Abend eines Manöver¬ 
tages, als Conrad sich eben umkleiden wollte, meldete der Diener, 
daß der Erzherzog-Thronfolger erschienen sei, um ihn zu einer 
Spazierfahrt einzuladen. Schon betrat der Besucher auch das 
Zimmer und bat Conrad, sich in aller Ruhe fertigzumachen. 
Während der Wagenfahrt wurden aktuelle militärische und 
politische Themen besprochen. Aus der Art der Fragestellung 
glaubte Conrad entnehmen zu können, daß der Erzherzog seine 
Einstellung zu diesen kennenlernen wolle. Es kam weiters die 
Sprache auf organisatorische Angelegenheiten, auf Probleme der 
Wehrmacht, der Truppenausbildung, des Generalstabes, der Offi¬ 
zierserziehung. Bel der Besprechung der innenpolitischen Lage 
betonte Conrad die dringliche Lösung der südslawischen Frage 
zugunsten der Kroaten und entwickelte seine Ansicht über die 
staatsrechtliche Stellung Ungarns in der Monarchie. 
Der Erzherzog forschte immer weiter. Wenn sich Verschieden¬ 
heiten in den Ansichten ergaben, hielt Conrad mit seinem Ur¬ 
teil nicht zurück. In den wichtigsten innerpolitischen Fragen 
herrschte volle Übereinstimmung, insbesondere in der Notwen¬ 
digkeit, alle Kräfte des Reiches zur Bekämpfung der destruk¬ 
tiven Tendenzen und nationalen Sonderbestrebungen zusammen¬ 
zufassen. Während dieser zweistündigen Aussprache hatte der 
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