Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

Idee aufkommen, mit Hilfe der Serben die bosnische Frage in geregelte 
Bahnen zu bringen. 
Die Anhänger dieser Idee argumentierten dahin, daß die Kroaten 
numerisch und politisch zu schwach, die Mohammedaner gleichfalls zu 
schwach, dabei politisch zu rückständig seien, überdies auf starr 
konfessionellem Standpunkt ständen, die Serben hingegen nicht nur an 
Zahl, sondern auch an Intelligenz und politischer Tüchtigkeit die beiden 
anderen überragen, weshalb man sie heranziehen und die Regierung auf 
sie stützen müsse. 
Abgesehen davon, daß durch eine solche Zurücksetzung des katho¬ 
lischen kroatischen Elementes auf Kosten des griechisch-orthodoxen 
Serbentums die Lage auch in Kroatien noch mehr kompliziert, der dortige 
Konflikt noch mehr verschärft worden wäre, hätte es geheißen „den Bock 
zum Gärtner machen”, wenn man die national und konfessionell nach 
Serbien gravitierenden, von dort aus inspirierten und die Bildung des 
selbständigen großserbischen Staates erwartenden bosnischen 
Serben zur führenden Partei im Landtage gemacht hätte. Mit diesem 
Bedenken mußte seitens jedweder realen Politik gerechnet werden. 
Daß sich in manchen kulturellen und nationalökonomischen Fragen, 
wie beispielsweise der Kmeten-Ablösung*), Serben und Kroaten finden 
würden, änderte nichts an obigem Bedenken. 
Ein die Lage im Annexionsgebiet schilderndes offizielles Memoire 
vom März 1910, das im allgemeinen auf den versöhnlichen Ton in B. H. 
gestimmt ist, enthält folgende bemerkenswerte Stellen: 
„Was das Verhalten der Serben der Regierung vis-ä-vis anbelangt, 
so ist diesbezüglich seit der Annexion zweifellos ein erfreulicher 
Umschwung zum Bessern eingetreten. Die überwiegende Mehrzahl der 
Serben hat, wenigstens äußerlich, den intransigenten Standpunkt auf¬ 
gegeben und befleißigt sich einer opportunistischen Haltung. Ob sie 
aber endgültig auf die Ideale, welche ihnen bis vor kurzem vorgeschwebt, 
Verzicht geleistet, beziehungsweise die großserbischen Tendenzen auf¬ 
gegeben haben, wäre sehr zu bezweifeln. Ein bosnisches Sprichwort sagt: 
„Vuk dlaku mjenja, ali cud nikad“. (Der Wolf wechselt das Haar, die 
Natur jedoch nie!) Es dürfte hier passende Anwendung finden.5' 
*) Ablösung eines Teiles des meist in Händen der mohammedani¬ 
schen Adligen (Begs) befindlichen Grundbesitzes, zwecks Überlassung 
an die ihn bisher im Abhängigkeitsverhältnis bebauenden, zu Natural¬ 
abgaben an den Beg verpflichteten Kmeten (Bauern, Pächter). 
40
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.