Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

zulassen, ehe mit Italien abgerechnet ist, daß daher zuerst der Krieg gegen 
Italien zu führen, dann die aktive Politik am Balkan einzuschlagen ist. 
Nun fiel in die folgenden Jahre zur größten Überraschung der 
gesamten Diplomatie die jungtürkische Bewegung mit der konstitutionellen 
Umgestaltung der Türkei, und dieses Ereignis rückte die Notwendigkeit 
der Annexion Bosniens und der Herzegowina in erste Linie. 
Dieser Notwendigkeit wurde mit raschem und energischem Zugreifen 
entsprochen und sorgten die trotz mannigfacher Widerstände durch¬ 
geführten militärischen Vorkehrungen dafür, daß diesem Schritte der 
unerläßliche Nachdruck verliehen wurde. 
Als sieb aber in dieser Zeit, dank dem Verhalten Serbiens und 
Montenegros, die Möglichkeit ergab, die Balkanziele unter selten günstigen 
Nebenumständen sofort zu verfolgen, wurde von dieser günstigen Lage 
der Dinge kein Gebrauch gemacht. 
Ich hatte den Krieg gegen Serbien damals dringend vertreten und 
war in der Lage, Euer Majestät a. u. melden zu können, daß mit 
1. März 1909 alles hiezu vorgekehrt sei, wenn nötig aber auch schon 
früher die Aktion beginnen könne. 
Durch das Anwachsenlassen eines selbständigen Königreiches Serbien 
und eines selbständigen Königreiches Montenegro hat sich die Monarchie 
den Weg auf den Balkan bereits mehr als halb versperrt, ein autonomes 
Albanien und ein erweitertes Bulgarien wird ihn ganz versperren, wenn 
die Monarchie nicht selbst festen Fuß mitten im Balkan hat. 
Der Mißerfolg mit der Sandzakbahn gegenüber den auswärtigen 
Bestrebungen nach der Adriabahn, die kommerziellen Schwierigkeiten 
mit Serbien und die Eröffnung neuer, von der Monarchie unabhängiger 
Absatzgebiete für dieses sind Zeichen dieser Lage. 
Italien weiß genau, warum es Serbien und Montenegro unterstützt 
und die albanesischen Autonomiebestrebungen fördert. 
Während nun 1906/07 die relativ günstige Lage gegenüber Italien 
nicht ausgenützt wurde, unterblieb dies nunmehr 1909 auch gegenüber 
Serbien und Montenegro. 
Das Resultat war, daß alle drei genannten Staaten ihrer prekären 
militärischen Situation entschlüpft waren, seither reichlich Zeit fanden, 
an ihre militärische Ausgestaltung zu schreiten und daß sie diese Zeit 
auch weitestgehend ausnützten. 
Dabei festigte sich auch nicht unwesentlich ihre politische Situation; 
so wurde Montenegro zum Königreiche erklärt, in Serbien konsolidierten 
sich die Verhältnisse, insbesondere auch die Lage der Dynastie, und 
Italien gewann noch mehr den Charakter eines zielbewußt und erfolgreich 
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