Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

„Auch Österreich-Ungarn könne die ständigen Provokationen Serbiens, 
denen es mit Oegenmaßregeln begegnen müsse, wodurch die gegen¬ 
seitigen Beziehungen immer gespannter werden, auf die Dauer nicht mehr 
ertragen.-“ 
Aus einem späteren Gespräch mit Herrn Kiderlen-Wächter bringt 
Dr. Bogicevic folgende Äußerung: 
„Wie wünschenswert es auch vom Standpunkte des europäischen 
Friedens wäre, an einer Lokalisierung des Balkankonfliktes festzuhalten, 
selbst wenn Rußland und Österreich in den Konflikt eingreifen sollten, 
so ist meiner Ansicht nach eine solche Lokalisierung unter den heutigen 
Umständen leider unmöglich, weil ich an die Aufrichtigkeit der fran¬ 
zösischen Politiker nicht glaube. Es würde daher auch in diesem Falle 
für Deutschland der casus foederis Österreich gegenüber gegeben sein. 
Ich hoffe aber, daß gerade deswegen jeder leitende Staatsmann der 
Entente sich der ungeheuren Verantwortlichkeit bewußt sein wird, einen 
so großen und in seinen Folgen unübersehbaren Konflikt herauf¬ 
zubeschwören.“ 
In weiterer Folge heißt es: 
„Ende Dezember 1912 starb Herr von Kiderlen, aber auch sein 
Nachfolger, Herr von Jagow, änderte in keiner Weise die friedliebende 
Tendenz der deutschen Politik.“ 
„Nur vom Gesichtspunkte der Erhaltung des europäischen Friedens 
hat es Deutschland nicht gescheut, in einzelnen Fragen einen solchen 
Druck auf die österreichische Regierung auszuüben, daß derselbe in Wien 
sehr unangenehm empfunden wurde, und daß man am Ballplatze oft 
gute Miene zum bösen Spiel machen mußte.“ 
„Hätte Deutschland einen europäischen Krieg haben wollen, so bot 
sich ihm selbst damals politisch und militärisch wieder eine viel günstigere 
Gelegenheit als Juli-August 1914.“ 
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Es mag dahingestellt bleiben, ob Deutschland mit seiner damaligen 
Friedensliebe sich selbst, Österreich-Ungarn und auch dem Frieden 
Europas einen Dienst geleistet hat. 
Wie schon an anderer Stelle bemerkt, habe ich mich nicht der 
Auffassung hingegeben, daß es gelingen könne, die Gegner Deutschlands 
und Österreich-Ungarns zum Aufgeben ihrer aggressiven Pläne zu 
bewegen. Wer über die Grenzen kleinlicher diplomatischer Übervor¬ 
teilungen hinaus die großen, tiefliegenden Kräfte und Zusammenhänge im 
Auge hatte, mußte darüber im klaren sein. 
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