Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

Ich erwähne diese Details, weil sie Einblick in das knarrende Räder¬ 
werk bieten und zeigen, wie sich allmählich die Gegensätze zuspitzten, 
die schließlich zum offenen Konflikte führten. 
Als Resume der äußeren Lage im Jahre 1910 ergab sich: 
Äußerlich korrekte Beziehungen mit allen Staaten; bundes¬ 
treues Gebaren der Verbündeten — tatsächlich aber unverkennbares 
Abschwenken eines der Alliierten (Italien) — gärende Keime für 
kommende schwere Komplikationen; engeres 7usammenschließen der 
Deutschland und Österreich-Ungarn feindlichen Mächte zu einer über¬ 
starken Koalition bei eifrig betriebener, aber noch nicht durch¬ 
wegs vollzogener Ausgestaltung ihrer militärischen Kräfte. 
Innere Lage. Unbekümmert um die sichtlich immer mehr und 
mehr von außen drohenden Gefahren oder blind gegen sie, standen sich 
im Innern Parteien, Nationen, Fraktionen, Koterien etc. im ununter¬ 
brochenen Hader gegenüber, der die Einzelinteressen über alles stellte 
und die dringende Sorge für die gemeinsame Not in den Hintergrund 
drängte. 
Für die gemeinsame Wehrmacht hatte man daher nicht viel übrig; 
den einen war sie aus nationalen, den anderen aus sozialen, den dritten 
aus wirtschaftlichen Gründen unbequem oder nicht sympathisch. Sie 
wurde vielfach nur als überkommenes notwendiges Übel empfunden und 
gern als der „Moloch“ bezeichnet, der, ohne selbst produktiv zu sein, 
an den Staatsmitteln zehre. Daß die Mittel für eine starke, wohlausge¬ 
rüstete Wehrmacht das bestangelegte Kapital sind, dafür war nicht jenes 
Verständnis vorhanden, wie beispielsweise in Frankreich. 
Auch ein großer Teil der Presse folgte dieser Richtung, nicht nur 
armeefeindliche Hetzblätter, sondern auch ernste Journale. So feierte die 
„Neue Freie Presse“ in einem Artikel vom 17. September 1910 den Finanz¬ 
minister, weil er das ohnehin auf das dürftigste zusammengestrichene 
Heeresbudget noch weiter restringierte. 
In Ungarn stand, außer den finanziellen Motiven, auch das Streben 
nach Schaffung einer rein ungarischen Armee allen Forderungen 
für das gemeinsame Heer hemmend entgegen. 
Die ungarische, die kroatische, die böhmische, die slovenische, die 
italienische, die polnisch-ruthenische, endlich die bosnische Frage kamen 
nicht zur Ruhe, daneben nahm das sozialdemokratische Problem an 
Bedeutung zu. 
Die Ausgleichsversuche zwischen den Deutschen und den Tschechen 
waren gescheitert; der Statthalter Franz Graf Thun, der mir in Grado 
gelegentlich gleichzeitigen Kuraufenthaltes im Juni 1910 mit großen 
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