Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

Souveränität oder Suzeränität des Sultans bilden soll, dessen Gouverneur 
nach Fürwahl der Großmächte vom Sultan ernannt oder doch bestätigt 
wird und dem eventuell als eine Art Eskorte auch etwas türkisches 
Militär beigegeben werden könnte. Diese Idee fand indes keinen Anklang, 
und Sir Edward Grey widersetzte sich ihr auch lebhaft, so kam man denn 
in der Formel überein, die ich im Telegramm Nr. 156 gemeldet habe. Die 
Wahrung der Souveränität oder Suzeränität wurde hiebei am meisten 
vom deutschen Botschafter unterstützt, der unserem Botschafter gegen¬ 
über meinte, man müsse gewisse Konzessionen auch dem russischen 
Standpunkt machen. 
Die vom Grafen Mensdorff vorgeschlagene Neutralisierung Albaniens 
konnte nicht diskutiert werden, da Graf Benckendorff erklärte, daß seine 
Instruktionen nicht so weit reichen, um dies zu akzeptieren (!). 
Nun kam die Frage der Grenzen des künftigen Staates an die Reihe. 
Graf Mensdorff präzisierte den Standpunkt Österreichs dahin, daß jedes 
in der überwiegenden Mehrzahl von Albanesen bewohnte Territorium zu 
Albanien fallen soll, während Graf Benckendorff im Namen Rußlands 
die Erklärung abgab, daß man sich die nördliche Grenze an Montenegro 
und die südliche an Griechenland anstoßend denkt. Hiemit war die serbische 
Frage aus der Welt geschafft, ohne daß sie zur Sprache kommen 
mußte, und wurde nur vereinbart, daß Serbien der kommerzielle Zugang 
zu einem neutralen und freien albanesischen Hafen auf einer internationalen 
Bahn einschließlich freier Durchfuhr von Kriegsmaterial gewährt werde. 
Bahn und Hafen sollen durch eine internationale Gendarmerie gesichert 
werden, ein Gedanke, der wieder auf die russische Bestrebung zurück¬ 
zuführen ist, in der künftigen Administration des Landes sich auch einen 
Einfluß zu sichern. Es ist auch ganz gut denkbar, daß diese von Serbien 
frei zu benützende »internationale« Bahn allmählich den Weg zur 
Penetration pacifique seitens Serbiens bilden wird. Übrigens wurden 
Österreich und Italien aufgefordert, die Gesichtspunkte im großen dar¬ 
zulegen, wie die künftige Organisierung und Verwaltung des zu 
schaffenden Staates gedacht wird. Ich glaube — wiewohl unser Bot¬ 
schafter meint, dieser Aufforderung könne man schwer aus dem Weg 
gehen — daß dies nur ein Schachzug war, um uns zur Aufdeckung all 
unserer Pläne und Zukunftsgedanken zu veranlassen. 
Bei der zweiten Sitzung zeigte Graf Mensdorff über Aufforderung 
auf einer ihm von Baron Giesl gegebenen ethnographischen Karte die 
Verteilung der Albanesen, die die Basis für die Abgrenzung des Staates 
bilden soll. Dies fand keinen Anklang und hier dürfte die größte 
Schwierigkeit entstehen, weil Rußland wegen Skutaris kaum auf dieses 
Prinzip eingehen wird. Graf Benckendorff erklärte auch, er müsse um 
400
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.