Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

Partei, der „Tanin“, veröffentlichte Artikel, welche der schweren Ent¬ 
täuschung der ottomanischen Politiker deutlichen Ausdruck gaben. 
Während nun durch den Federkrieg der Presse die beiderseitige 
Verstimmung stark gestiegen war, erregte der Ankauf deutscher Schiffe 
durch die Türkei auf Seite der Tripleentente einen wahren Sturm der Ent¬ 
rüstung. Jede weitere Rücksicht wurde nunmehr beiseite gesetzt und 
das Bestreben, die Türkei ihre Vergehen büßen zu lassen, gewann die 
Oberhand. Die Zusammenkunft des Großveziers mit Graf Ährenthal 
wurde als Anschluß der Türkei an den Dreibund erklärt und durch die 
von Tscharykow lancierte Nachricht über den Abschluß der rumänisch¬ 
türkischen Militärkonvention ergänzt; und um die Türkei die Macht 
der Tripleentente fühlen zu lassen, wurden bei der in Paris gerade in 
Verhandlung stehenden Anleihe Bedingungen gestellt, welche mit der 
Würde eines souveränen Staates unvereinbar sind und von der Türkei 
nicht angenommen werden konnten. Doch auch bei diesem Hauptcoup 
scheint es, daß die französische Animosität der jungtürkischen Partei nur 
einen Erfolg mehr einbringen wird, da die französische Regierung zum 
Schluß doch auf ihre drückenden Bedingungen verzichten und die Anleihe 
auch ohne dieselben zustande kommen dürfte. 
Die Ereignisse der letzten zwei Monate müssen nun wohl selbst den 
verstocktesten Jungtürken über den wahren Charakter der englisch- 
französisch-russischen Freundschaft und die Ziele der Politik dieser drei 
Mächte die Augen geöffnet haben. Es ist nun klar, daß dieselben eine 
schwache, dahinsiechende Türkei patronisieren 
und ausbeuten wollen, aber ein Erstarken dieses 
Staates nicht nur nicht wünschen, sondern mit allen 
Mitteln zu verhindern trachten. Daß ihnen dies nicht 
gelingt, daß die Türkei trotz allen Schwierigkeiten doch vorwärts 
schreitet, nach allen Seiten eine kräftige, selbstbewußte Politik führt und 
sich gegen Ausbeutungsversuche — von welcher Seite sie auch kommen 
mögen — energisch zur Wehre setzt, daß die Blamagen der Botschafter 
der Ententemächte sich stets zu Erfolgen der jungtürkischen Regierung 
umsetzen, das sind die wahren und tieferen Gründe der in letzter'Zeit 
veränderten Stimmung der Ententemächte. Hätten England, Frankreich 
und Rußland dem Jungtürkentum etwas mehr Lebenskraft zugemutet und 
die bisherige Entwicklung vorausgesehen, so hätten sie wahrscheinlich in 
der Annexionskrise eine andere Politik befolgt, als jene, welche dem 
neuen Regime die ersten Erfolge brachte und die Basis für seine Stellung 
im Inneren bilden konnte. 
Es ist selbstverständlich, daß man in deutschen Kreisen mit der 
neuesten Wendung in der türkischen Politik sehr zufrieden ist und
	        
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