Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

Sowohl Österreich-Ungarn, als Italien sahen hierin eine Verletzung 
ihrer albanesischen Interessen. 
Die Lage erhielt eine neue Komplikation, als die Pforte im Wege 
des Großveziers Kiamil Pascha am 4. November 1912 die Großmächte 
um Vermittlung bat, also ihre Ohnmacht deklarierte. 
Die Monarchie sah nun die Türkei, auf die sie als Gegengewicht 
gegen Serbien und Montenegro doch noch gerechnet hatte, zusammen¬ 
gebrochen, Serbien, ihren hartnäckigsten und aggressivsten Gegner, im 
raschen Aufschwung, ihren Dreibundalliierten Italien zwar als Gegner 
der Balkanstaaten bezüglich Albaniens, aber gleichzeitig auch als scharfen 
Konkurrenten in diesem Gebiet; Rumänien aber, dessen sie im Kriegs¬ 
fälle gegen Rußland dringend bedurfte, in den Balkanwirbel hinein¬ 
gezogen, daher nicht mehr gegen Rußland völlig frei. 
Diese Situation zeigt deutlich, in welche Unklarheit und Unsicherheit 
die Führung der Politik in einem Staate gelangt, der ohne positives 
Ziel, dem rechtzeitigen, entschlossenen Handeln ausweichend, vermeint, 
dem großen Zug der Ereignisse lediglich mit diplomatischen Ausflüchten 
und kurzfristigen Arrangements begegnen zu können. 
Schwer war es bei dieser Lage und bei dem steten Wechsel der 
Geschehnisse, die Richtlinie für das eigene Handeln festzustellen. 
Mir über die Konsequenzen dieser neuen Lage klar zu werden, 
schrieb ich nachfolgenden Zusatz zu meinem Essay vom 28. Oktober 1912. 
„Zusatz 
zu meinem Essay vom 28. Oktober 1912. 
Wien, am 8. November 1912. 
In einer Denkschrift vom 28. Oktober 1. J. habe ich meine 
Anschauungen über die politischen Ziele der Monarchie unter Zugrunde¬ 
legung des damaligen Standes der militärisch-politischen Lage auf dem 
Balkan zum Ausdruck gebracht. 
Seither haben die Ereignisse im Sinne einer völligen Niederwerfung 
der Türkei ihren Fortgang genommen, aber es sind auch zwei weitere 
wichtige Momente hervorgetreten. 
Das eine ist das Streben der Balkanbundesstaaten nach Aufteilung 
Albaniens mit Festsetzung Serbiens an der Adria, das zweite ist das 
Hervortreten der Aspirationen der Großmächte, und zwar auch im Hin¬ 
blick auf den asiatischen Besitz der Türkei. 
Die in meiner ersten Denkschrift dargelegte Idee eines bundes¬ 
staatlichen Zusammenschlusses der Balkanstaaten mit der Monarchie und 
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