Volltext: 1910 - 1912 (Zweiter Band / 1922)

Irrigationsarbeiten in Mesopotamien, Landankäufe englischer Kapitalisten 
im Schatt el Arab und in Syrien und neuestens die unter englischem 
Einfluß reorganisierte Mahsusse-Gesellschaft von Seite des türkischen 
Staates mit Mißtrauen beobachtet und entweder zu wenig unterstützt, 
oder sogar direkt feindlich behandelt werden. Auch die schüchternen 
Anfänge einer panislamitischen Bewegung, die sich in Indien und Ägypten 
bemerkbar machen soll, sowie das Entstehen von Zweigvereinen des 
ottomanischen Flotten verein es in den bezeichneten englischen Domänen 
dürften der britischen Regierung gar nicht gefallen. 
Frankreich glaubt, sich über die Bevorzugung der deutschen Industrie 
beklagen zu sollen. Der Ankauf von vier Torpedobootzerstörern in Schichau, 
sowie die Zögerung der türkischen Regierung, den längst ausgefertigten 
Vertrag bezüglich der Lieferung von 36 Oebirgsgeschützen endlich zu 
unterzeichnen, haben in Paris sehr verstimmt. Verschiedene Interventionen 
des hiesigen französischen Botschafters Herrn Bompard zu Gunsten der 
christlichen Wehrpflichtigen scheinen gleichfalls gewisse Reibungen 
hervorgerufen zu haben und das feste Auftreten der Türkei in tripoli- 
tanisch-tunesischen Grenzfragen dürfte auch nicht nach dem Geschmacke 
der französischen Regierung gewesen sein. 
Die russische Politik am Goldenen Horn hat trotz der geschäftigen 
Tätigkeit des Herrn Tscharykow und des Einflusses der Frau des tür¬ 
kischen Ministers des Äußern Rifaat Pascha (eine Russin, geborene von 
Riesenkampf) nur Niederlagen aufzuweisen. Der Versuch einer Rußland 
günstigen Lösung der Meerengenfrage, dann die Bemühungen zur Bildung 
des Balkanbundes haben schmählich geendet; die islamitische Bewegung 
greift auch nach Rußland hinüber und sogar in Persien hat die Türkei 
nicht übel Lust, ein Wort mitzureden. 
Während sich nun infolge aller dieser Gegensätze und Reibungen 
auf Seite der Mächte der Tripleentente ein gewisser Unmut ansammelte, 
wurde auch die Türkei ihrerseits durch das unklare, zweideutige Verhalten 
Englands, Frankreichs und Rußlands in der Kretafrage in ihrem bis¬ 
herigen blinden Vertrauen zu diesen Mächten sehr erschüttert. Die 
Abweisung der übertriebenen Forderungen bezüglich definitiver Regelung 
der Frage hätte man allenfalls noch verwunden, daß aber die West¬ 
mächte nicht einmal betreffs der Souveränität des Sultans zu klaren, 
dezidierten Erklärungen zu bringen waren, mußte notwendigerweise am 
Bosporus stutzig machen und nachdenklich stimmen. Man hatte bis 
dahin den unfreundlichen und gereizten Ton der englischen und gelegent¬ 
lich auch der französischen Tagesblätter absichtlich nicht beachtet; im 
Monate Juli jedoch begann auch die türkische Presse den bisherigen 
devoten Ton aufzugeben und selbst das offizielle Organ der jungtürkischen 
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